Stich einer großen Figur mit Hörnern und Bart, aus deren Mund noch die Beine einer kleineren Figur ragen. Um sie herum stechen Fantasiefiguren mit Mistgabeln auf weitere kleine Menschenfiguren ein.

Höllengesichter. Torsion und Defiguration in Dantes »Divina Commedia« und in ausgewählten Bildgattungen

Dante Alighieris Commedia gründet auf einer, für heutige Leser wohl noch ausschließlicher erlebten, intrikaten Verflechtung von Theologie und Ästhetik, einem schier unermesslichen Reichtum an Wissensbezügen sowie einer äußerst disziplinierten poetischen Anlage. Vielfach wird diesem Gedicht als summa theologischen, kosmologischen und anthropologischen Wissens und durch seine ›volkssprachliche‹ Natur der Status einer Schwellenkunde zwischen Mittelalter und Neuzeit zugeschrieben. Dabei findet eine für die europäische Kulturgeschichte einzigartige Konstellation am Übergang von Religions- und Literaturgeschichte bislang zu wenig Beachtung: An der Wende von einer scholastisch-christlich geprägten Deutung der Person zu einer Kultur der Selbstentdeckung des Menschen wachsen auch die Ansprüche an das Gesicht als einer exponierten Ausdrucksinstanz.

Das zwischen Philologie und Bildwissenschaft angesiedelte Projekt verfolgte das Ziel, die sinnliche Erscheinungsweise der Sünder in Dantes Commedia zu konkretisieren, indem es die poetischen und piktoralen Prozesse der Gesichtsgebung genauer fasste. Denn anders als in der christlichen Seelenlehre sind die ›Seelen‹ oder ›Schatten‹ hier nicht bildlos, sondern von einer ausgesprochen bildhaften Plastizität. Umso erstaunlicher ist, dass das Gesicht als Index der von Dante so drastisch beschworenen orribil arte/Kunst des Schreckens kaum je ein Gegenstand der Forschung war und die Frage der Ansichtigkeit bisher überwiegend auf der Folie der für das Mittelalter maßgeblichen allegorischen Poetik ver­handelt wurde. In Dantes Gedicht lassen sich jedoch Ansätze zu einer ›Kultur der Person‹ entdecken, in der das Bild des Menschen gerade mithilfe körperlicher Schaustellungen, Torsionen und Defigurationen expandiert.

Diese in der Commedia geltenden Vollzugsweisen der Entstellung finden in den Zyklen Sandro Botticellis, Gustave Dorés und Salvador Dalís, aber auch im frühen Stummfilm und in der Graphic Novel eine Umsetzung. Diese wurden daraufhin befragt, wie sich im Gedicht an­gelegte Prozesse der Gesichtsgebung mit genretypischen Dispositionen verschränken. Dabei wurden intermediale Bezüge herausgestellt und damit eine ästhetische Matrix freige­legt, die bis in die Bildlogik gegenwärtiger populärer Kultur fortwirkt.

Das Projekt führte die im ZfL-Projekt Das Gesicht als Artefakt in Kunst und Wissenschaft (2011–2013) begonnenen Forschungen fort.

Abb. oben: Stich von Sandro Botticelli (Ausschnitt), Darstellung von Dantes Inferno mit monströsen Kreaturen, Quelle: Wikimedia

gefördert durch die Gerda Henkel Stiftung 2015–2017, Programmförderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 2017–2019 2015–2018
Leitung: Mona Körte

Veranstaltungen

Vortrag
24.11.2017 · 19.15 Uhr

Mona Körte: Dantes Inferno. Grundlagen einer Diskussion über die Hölle und das Böse

Società Dante Alighieri Berlin, Gesellschaft für italienische Sprache und Kultur, Oldenburger Str. 46, 10551 Berlin

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Vortrag
07.07.2017 · 15.00 Uhr

Mona Körte: Vor, Gegen, Zurück. Dantes Inferno als Ort der Wendungen

Kolleg-Forschergruppe BildEvidenz, Arnimallee 10, 14195 Berlin-Dahlem

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Vortrag
19.05.2017 · 12.15 Uhr

Mona Körte: »Erzähldurst, Vershunger.« Fama und memoria in Dante Alighieris »Inferno«

Karl-Franzens-Universität Graz, Universitätsstraße 15, 8010 Graz (AUT), ReSoWi-Zentrum, SZ. 15.21 (Bauteil A, 2. Obergeschoß)

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Tagung
06.10.2016 – 08.10.2016

Doing Face – Gesicht als Ereignis

Forschungszentrum Historische Geisteswissenschaften, Goethe-Universität, Campus Westend, Norbert-Wollheim-Platz 1, 60323 Frankfurt a. M., Cas. 1.801 (Renate-v.-Metzler-Saal)

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