Sigrid Weigel (ed./eds.)

Trajekte Extra 2006: 10 Jahre ZfL
10 Jahre ZfL - Zentrum für Literatur- und Kulturforschung

Trajekte Extra
Berlin 2006, 95 pages
  1. Zur Kulturgeschichte Europas
    1. Nachleben, Erbe, Übertragungen
      1. 'Nachleben' in den Kulturwissenschaften - Gegenstand und Methode
      2. Das Nachleben der Toten. Testament und Kulturgeschichte
      3. Doppelte Übersetzung. Eine Figur in der Dialektik der Säkularisierung
      4. Der Märtyrer als kulturübergreifende Figur 
      5. Nichtsesshaftigkeit und Heiratsakten. Das Europa der Dekrete
      6. Europa als Imaginationsraum
      7. Der limes im Erbe. Definitionen und Grenzfälle kultureller Überlieferung
      8. "Moskau - drittes Rom". Pathosformel des Stadt-Bildes
      9. Plurale Topographie. Europa zwischen Mittelmeer und Schwarzem Meer
  2. Philologische und symboltheoretische Grundlagen
    1. Schrift und Bild
      1. Philologie als Kulturwissenschaft. Zur inter-disziplinären Genese der Philologie
      2. Emblematische Bibelphilologie. Bild und Text in der Dialektik der Säkularisierung 
      3. Zeichen und Medien. Eine Geschichte der Semiotik
      4. Punktoperationen. Zur Geschichte und Theorie analoger Medien
      5. Stadt, Raum, Kartographie. Ikonographie und Vermessung im Prozess der Urbanisierung
      6. Pictogrammatica. Die Schriftbilder der Avantgardekünstler
      7. Gebärden zwischen Theater, Musik und Rhetorik
    2. FIGUREN des WISSENS
      1. Textkritik wissenschaftlicher Bilder: Das vermessene Gesicht
      2. Anschauung und Begriff. Anmerkungen zur Bildkritik
      3. Paratext Register. Die Erkenntnis des Ähnlichen
      4. Heiße Zonen: Psychophysischer Parallelismus 
      5. Imaginärer Enzyklopädismus
      6. Autorschaft. Auktorialität in Literatur und Wissenschaften
      7. Begriffsgeschichte im kleinen Grenzverkehr der Disziplinen
  3. Kulturgeschichte des Wissens
    1. Diesseits und Jenseits der 'Zwei Kulturen'
      1. WissensKünste. Die Kunst zu wissen und das Wissen der Künste 
      2. Wunder, Monster, Ausnahmezustand. Transformationen des Anormalen
      3. Geschickte Fälschung. Zum Zusammenhang von Verfehlung und System
      4. Fachgeschichte - Wissenschaftsgeschichte - Geschichte des Wissens
      5. Kunst der Narkose. Der Ausfall des Bewusstseins als Aufschluss über die Seele
      6. Involontaire. Vom Rand der Kognition
      7. Epigenetics. Where nature meets culture

Carolyn Steinbeck • Gestaltung

Excerpt

1996 wurde - nach einer langen Vorgeschichte - auf Empfehlung des Wissenschaftsrats (WR) das ZENTRUM FÜR LITERATURFORSCHUNG als eines der drei Geisteswissenschaftlichen Zentren Berlin (GWZ) gegründet (und zugleich als eine von insgesamt sechs solcher Einrichtungen). Gründungsdirektor war Eberhard Lämmert, der 1999 von Sigrid Weigel abgelöst wurde.

Die Gründungsempfehlung war zweifach motiviert: zum einen durch den immer wieder konstatierten Mangel außeruniversitärer geisteswissenschaftlicher Forschungszentren in der alten Bundesrepublik, zum anderen durch das Ziel, eine institutionelle Basis zu schaffen für diejenigen Wissenschaftler, die nach Auflösung der Akademie der Wissenschaften der DDR und nach positiver Evaluierung zunächst in der Fördergesellschaft wissenschaftliche Neuvorhaben (unter Betreuung der Max-Planck-Gesellschaft) gearbeitet hatten. Die GWZ wurden 1996 für eine zunächst auf 12 Jahre angelegte Laufzeit etabliert, gefördert zu einem Drittel aus Mitteln des Landes Berlin und zu zwei Dritteln durch Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die von den Zentren regelmäßig durch Projektanträge eingeworben werden mußten (wofür die Mittel der DFG 1996 im Umfang der Förderung der sechs Zentren erhöht wurden). Eine spätere Evaluierung sollte die Frage klären, ob die GWZ sich zu einem innovativen Instrument mit modellbildendem Charakter entwickeln würden.

Die Gründungsempfehlung des WR sah die Entwicklung von international und interdisziplinär ausgerichteten Forschungsprogrammen vor, deren kulturwissenschaftliche Arbeit sich auf die Grenz- und Überschneidungsgebiete zwischen den Disziplinen konzentrieren soll.

Im Rahmen dieser Zielvorgabe konnte Literaturforschung nur bedeuten, die Methoden der Literaturwissenschaften bzw. der Philologien für eine kulturwissenschaftliche Erforschung von Themen und Fragen zu nutzen, deren Phänomene sich der Analyse durch eine einzelne Fachdisziplin entziehen. Insofern trägt das Forschungsprogramm von Anfang an einen experimentellen Charakter. Literaturforschung bedeutet hier nicht Forschung zur Literatur als Gegenstand, sondern: sowohl Nutzung der Literatur als intermediäres Gedächtnis der Kultur, wobei Kultur verstanden wird als je spezifische Weise der Herstellung, Darstellung und Überlieferung von Wissen und Erfahrungen, als auch Nutzung philologischer Methoden zur Erforschung der symbolischen, rhetorischen und medialen Strukturen von Fragen aus dem Archiv europäischer Literatur- und Wissenskulturen.
Im Rahmen der Empfehlungen des WR zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften in Deutschland (Januar 2006) hat die Arbeitsgruppe Geisteswissenschaften des WR auch eine Evaluierung der GWZ vorgenommen (sowohl der institutionellen Struktur als auch der einzelnen Zentren) und Empfehlungen zur Zukunft der GWZ formuliert. In der Empfehlung für das ZfL heißt es:
"Das ZfL ist zu einem profilierten, national und international sichtbaren Forschungszentrum geworden und zu einem maßgeblichen Ort in Deutschland einerseits für die theoretischen Auseinandersetzungen zwischen historisch-philologischen und kulturwissenschaftlichen Ansätzen in den Geisteswissenschaften sowie andererseits für eine interdisziplinäre mit den Natur- und Technikwissenschaften."


Und im ausführlicheren Bewertungsbericht heißt es weiter:
"Das Zentrum für Literaturforschung hat sich in den Jahren seines Bestehens zu einem national und international anerkannten Forschungsinstitut entwickelt, das hervorragende interdisziplinäre Forschung in einem substantiellen Sinne betreibt. Profil bildend für die Arbeit sind sowohl die Auswahl der erforschten Gegenstände als auch die methodisch-theoretische Ausrichtung des Zentrums. Die Zusammenführung von Forschern aus ganz unterschiedlichen Disziplinen (von den Philologien über die Religions- und Wissenschaftsgeschichte bis zur Philosophie) ist im nationalen wie im internationalen Rahmen einmalig und könnte sich zu einem Modellprojekt entwickeln. Für die Zeit nach dem Auslaufen der gegenwärtigen Förderung durch die DFG am 31.12.2007 wird daher eine Fortführung des Zentrums als sehr begründet empfohlen. Das Zentrum sollte über einen eigenen Haushalt verfügen. Eine Förderung des tragfähigen und auf drei Forschungsschwerpunkten aufbauenden Forschungsprogramms sollte langfristig d.h. in den kommenden 12 Jahren ermöglicht werden."

Das Forschungskonzept, das dem WR für diese Evaluierung vom ZfL vorgelegt worden ist, formuliert das Programm für ein ZENTRUM FÜR LITERATUR- UND KULTURFORSCHUNG. Mit dieser Erweiterung des Namens wird dem tatsächlichen interdisziplinären Profil entsprochen, mit dem das ZfL die WR-Empfehlungen zur Gründung der Zentren beim Wort genommen hat, nämlich eine kulturwissenschaftlich ausgerichtete Forschung an den Schnittstellen verschiedener Wissenschaften zu entwickeln. So versammeln die Forschungsprojekte des Zfl derzeit nicht nur Wissenschaftler aus den verschiedenen Philologien, sondern auch aus der Kunst-, Medien-, Religions- und Wissenschaftsgeschichte, aus der Judaistik, der Islamwissenschaft und der Philosophie.

Die Beiträge in diesem TRAJEKTE-Extra sollen einen Einblick in das Forschungsprogramm des ZfL ermöglichen. Sie werfen einen Blick zurück und nach vorn. Es sind Stichproben, die exemplarische Betrachtungsweisen und Untersuchungsanordnungen aus der Forschung des ZfL vorstellen, in denen sich die vielfältigen Fachperspektiven verbinden zur Entwicklung von gemeinsamen methodisch-theoretischen Grundlagen für eine kulturwissenschaftliche Erforschung solcher Zusammenhänge aus der Europäischen Kulturgeschichte und der Kulturgeschichte des Wissens, die sich einzelwissenschaftlichen Begriffen nicht ausreichend erschließen.
Berlin, März 2006 Sigrid Weigel