Zentrum für Literaturforschung (Hg.)
[Vergriffen!]

Heft 2

Trajekte 2
Berlin 2001, 36 Seiten
  • Aus dem Archiv
    Mimesis in Palästina. Zwei Briefe von Erich Auerbach und Martin Buber (Karlheinz Barck/Martin Treml)
  • Bildessays
    Zwischen den Säulen des Herkules. Das Archivo General de Indias in Sevilla (Bernhard Siegert)
  • Trajekte subversiver Texte. Die Zirkulationsströme des russischen Samizdat (Wolfgang Stephan Kissel, Franziska Thun-Hohenstein)
  • Korrespondenzen
    Alberti vs. Quetzalcóatl. Frühneuzeitliche Kunsttheorie in Diensten der christlichen Mission in Mexiko: 1523-1600 (Samuel Y. Edgerton jr.)
  • Shakespeares mimetische Rivalen (Klaus Reichert)
  • Aus der Arbeit des ZfL
    Unruheherd Literaturwissenschaft
  • Zum Forschungsschwerpunkt "Literatur- und Kulturgeschichte Europas": Perspektiven für eine Philologie europäischer Kulturgeschichte

Carolyn Steinbeck • Gestaltung

Leseprobe

Sigrid Weigel

Mit dieser zweiten Nummer geht der Newsletter des Zentrums für Literaturforschung in die geplante halbjährliche Produktion. Wieder enthält er Ausschnitte aus der gegenwärtigen Forschungsarbeit, Archivfunde, Beiträge von Gastwissenschaftlern und Hinweise auf Publikationen und Veranstaltungen. Während in der ersten Nummer unser Konzept der Literaturforschung im Sinne literaturwissenschaftlicher Grundlagenforschung skizziert und der Forschungsschwerpunkt Literaturforschung und die Geschichte des Wissens und der Wissenschaften vorgestellt wurde, der sich mit der Jahrestagung im Oktober 2000 etabliert hat, konzentriert sich diese Nummer auf den Forschungsschwerpunkt zur Literatur- und Kulturgeschichte Europas.

Auch hier zeigt sich wieder, daß eine historische Forschung, deren Fragestellungen und Methoden durch jüngere Theorien, wie etwa die Diskursgeschichte, die Kultur- und Medienwissenschaft, geprägt sind, gut beraten ist, sich auf teils an den Rand gedrängte, teils vergessene Traditionen der Philologie zu besinnen und daran anzuschließen. So wie Friedrichs Schlegel Bestimmung der Philologie als „Interesse für bedingtes Wissen“ einen wichtigen Bezugspunkt für eine Philologie der Wissenschaftsgeschichte darstellt, kann eine Philologie der Kulturgeschichte Europas viel von Erich Auerbachs europäischer Literaturforschung profitieren (Aus der Arbeit des ZfL). Vielleicht darf sein Methodenaufsatz aus dem Jahre 1958 (s. S. ..) als Text betrachtet werden, den er anstelle des nicht geschriebenen bzw. verweigerten Vorworts für die hebräische Übersetzung des Mimesis-Buches verfaßt hat.

Der Briefwechsel zwischen Martin Buber und ihm, der von diesem ungeschriebenen Vorwort handelt und hier erstmals veröffentlicht wird, konnte aus Archiven in Jerusalem und Bellport auf Long Island rekonstruiert werden. Diese sind bislang nicht nur durch eine geographische Distanz getrennt, sondern auch durch die differenten intellektuellen Welten der „Jüdischen Renaissance“ eines Martin Buber und den „philologischen Europäismus“ eines Erich Auerbachs. Dieser Archivfund zeigt, welch unerwartete Konstellationen durch die Verknüpfung zwischen verschiedenen Forschungsprojekten im ZfL zu Tage treten können (Aus dem Archiv).

Die diesjährige Jahrestagung des ZfL wird sich dem Thema Figuren des Europäischen widmen (18.-20.10.). Der Begriff der figura reicht dabei von der personalen Bedeutung (wie Subjekt, Souverän oder auch einzelne Typen) über rhetorische Figuren bis hin zu Figurationen bzw. Konstellationen wie Übersetzung, Übertragung, Konversion, Instituierung. Dabei spielen die Städte als historische und symbolische Schauplätze exemplarischer Konstellationen eine besondere Bedeutung. Einige Beiträge dieser zweiten Nummer der Trajekte geben Einblicke aus der Arbeit am Thema. Die Lonja (Börse) in Sevilla, die – als Kontra und vis-à-vis der Kathedrale – um 1600 die Körperschaft der mercaderes beherbergte und im 18. Jh. zum Archivo General de Indias wurde, das heute weitgehend digitalisiert ist, ist ein solcher Schauplatz, der einen europäischen Macht-Wissens-Ort par excellence darstellt (Bildessay). Er korrespondiert mit den Kloster-Festungen, den conventos, die die Europäer im 16. Jh. flächendeckend in Mexiko errichteten, um im Interesse ihrer Mission ihr Weltbild buchstäblich im fremden Boden zu verankern (KORRESPONDENZEN: Alberti vs. Quetzalcóatl von Samuel Edgerton). Daß auch die Literatur europäischer Klassiker der Zeit durch kultische und rituelle Subtexte geprägt ist, thematisiert der Shakespeare-Forscher Klaus Reichert in seinem Gastessay über Shakespeares mimetische Rivalen, in dem er René Girards Deutung, der Shakespeare im Lichte des ‚Heiligen‘ und des ‚Opfers‘ gelesen hat, vor allem am Beispiel der Königsdramen erörtert.

Die Öffentlichkeit gehört zu einer jener Kategorien, die für das Selbstverständnis der europäischen Kultur den Status einer Pathosformel beanspruchen können. Die ganz anderen Wege der Zirkulation von Erinnerungen am östlichen Rande Europas und die daraus hervorgehenden Varianten einer ars memoriae in der russischen Moderne präsentiert der Bildessay über den Samizdat. Dagegen wird mit dem Band Masse und Medium eine neue Publikation des ZfL vorgestellt, die auf die Ergebnisse einer der vorausgegangenen Jahrestagungen zurückgeht und eine Recherche zu den medienhistorischen Möglichkeitsbedingungen von ‚Öffentlichkeit‘ und ‚Massenkultur‘ unternimmt.

Die dritte Nummer der Trajekte, die im Herbst erscheinen soll, wird ein neues Vorhaben vorstellen. Im Herbst beginnt das ZfL (in Kooperation mit dem Museum Hamburger Bahnhof) eine Veranstaltungsreihe mit dem Titel WissensKünste: bei den im monatlichen Rhythmus durchgeführten treffen Abendveranstaltungen werden jeweils ein Künstler und ein Wissenschaftler gemeinsam ihre Überlegungen und Arbeiten vorstellen und diskutieren. Das Thema des ersten Jahres lautet Life Sciences, Künste und Medien.