Mittwochsvortrag
28.11.2012 · 20.00 Uhr

Bernhard Jussen (Frankfurt a.M.): Plädoyer für eine Ikonologie der Geschichtswissenschaft. Zur bildlichen Formierung historischen Denkens

Ort: ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, 3. Et., Trajekte-Tagungsraum

Programm

Die Geschichtswissenschaft erzeugt seit ihren Anfängen die historische Vorstellung ihrer Leser nicht nur im Medium des Textes, sondern auch des Bildes. In akademischen Lehrbüchern ebenso wie in Schulbüchern oder populären Nationalgeschichten strukturieren Bildsequenzen die Wahrnehmung des wissenschaftlichen Textes wie der erzählten Geschichte. Der Umgang der Historiker mit Bildern und mit Texten ist allerdings sehr verschieden. Während der textliche Teil der Narrative streng methodisch kontrolliert ist, ist der bildliche Teil eher eine Angelegenheit des Erfahrungswissens oder der Intuition, liegt oft nicht einmal in den Händen der Autoren. Diese eingespielte Praxis – strenge Kontrolle des Textes, intuitiver Umgang mit Bildern – ist mehr als fahrlässig, denn gerade die bildliche Argumentation eines Geschichtsbuches hat besonders starken Einfluss auf die historische Vorstellungskraft des Publikums. Die kaum je diskutierten Bebilderungsreservoirs der Geschichtswissenschaft schleppen über Jahrzehnte Altlasten weiter, die in den Texten längst beseitigt sein mögen.
Der Vortrag diskutiert die Probleme dieses kaum kontrollierten geschichtswissenschaftlichen Bildgebrauchs. Er plädiert für eine dem Textgebrauch vergleichbare methodische Kontrolle und für eine disziplingeschichtliche Aufarbeitung des Bildgebrauchs – für eine Ikonologie der eigenen Disziplingeschichte.

Moderation: Heike Schlie (ZfL)

Bernhard Jussen ist seit 2008 Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a.M. 2007 erhielt er den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der DFG. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem historische Politikforschung, insbesondere die Erforschung mittelalterlicher Formen politischer Sprache und Gesellschaftsdeutung. Von 2004–2007 leitete er gemeinsam mit Sigrid Weigel das ZfL-Projekt Erbe – Erbschaft – Vererbung. Überlieferungskonzepte zwischen Natur und Kultur im historischen Wandel.

Publikationen (Auswahl):

  • Atlas des Historischen Bildwissens, Bd. 1–3 (Hg., Berlin 2009)
  • Die Macht des Königs. Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit (Hg., München 2005)
  • Von der künstlerischen Produktion der Geschichte (Hg., 5 Bde, Göttingen 1997–2004: zu Jochen Gerz, Anne u. Patrick Poirier, Hanne Darboven, Ulrike Grossarth und Christian Boltanski)
  • Negotiating the Gift. Pre-Modern Figurations of Exchange (Mithg., Göttingen 2003)

Veranstaltung zum ZfL-Semesterthema: An/Sichten im Wintersemester 2012/2013