Das Lager als menschliche Grenzerfahrung. Varlam Šalamov (1907-1982) zum Gedenken
Program
Veranstaltet von der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, dem
Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin und der Stiftung zur
Aufarbeitung der SED-Diktatur
Das Lager als Instrument der
Disziplinierung, sozialen Exklusion und Repression ist einer der
wichtigsten Orte kollektiver Gewalt und totalitärer Herrschaft.
Millionen Menschen mußten jahrelang in Lagern leben, Millionen wurden
dort umgebracht. Überlebende haben mit der erklärten Absicht
geschrieben, über Leben und Sterben im Lager Zeugnis abzulegen. Eine der
bedeutendsten und eindringlichsten Stimmen ist die von Varlam Šalamov,
der fast 20 Jahre in sowjetischen Zwangsarbeitslagern zubrachte.
Bis
heute sind Šalamov und sein Werk in Deutschland kaum bekannt. Das hat
drei Gründe. Wissenschaft und Öffentlichkeit in Deutschland
konzentrierten sich auf die Untersuchung der nationalsozialistischen
Lager. Russische Erinnerungsliteratur ist in der Diskussion über
Lagererfahrungen kaum präsent. Und zeitlebens stand Šalamov im Schatten
von Aleksandr Solženicyn. Dabei haben insbesondere seine Erzählungen aus Kolyma eine Poetik äußerster Dichte, die der von Primo Levi, Jorge Semprun und Imre Kertész in nichts nachsteht.
Am
1. Juli 2007 jährt sich Varlam Šalamovs Geburtstag zum hundertsten Mal.
Aus diesem Anlaß laden die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde und
das Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin vom 3. bis zum 5.
Juli 2007 zu einer Veranstaltungsreihe ein, um eine breitere
Öffentlichkeit in Deutschland mit Šalamovs Leben und Werk bekannt zu
machen und zugleich in einem interdisziplinären Zugang den literarischen
Stellenwert seines Schaffens zu untersuchen, die historischen,
wirtschaftsgeschichtlichen und soziologischen Erkenntnisse der
Gulag-Forschung vorzustellen und einen vergleichenden Blick auf Funktion
und Ordnung von Lagerhaft, politischer Verfolgung und Terror in der
Sowjetunion, unter dem Nationalsozialismus und in anderen politischen
Systemen der Welt zu werfen.
Begleitend zur Veranstaltungsreihe erscheint ein Sonderheft der Zeitschrift OSTEUROPA: Das Lager schreiben. Varlam Šalamov und die Aufarbeitung des Gulag.
Dienstag, 3. Juli 2007
Ort: Einstein-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
Das Lager schreiben. Varlam Šalamov zum Gedenken
20.00 Uhr: Eröffnung und Begrüßung
Rita Süssmuth (Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde - DGO Berlin)
Doris Liebermann (Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur)
20.30 Uhr: Lesung mit musikalischer Umrahmung
Durch den Schnee. Erzählungen aus Kolyma, Band 1. Buchvorstellung und Lesung aus dem 1. Band der deutschen Šalamov-Werkausgabe mit Andreas Schmidt-Schaller
Jascha Nemtsov (Klavier) spielt Kompositionen von Mieczysław Weinberg (1919–1996)
Einführung: Andreas Rötzer (Matthes & Seitz Berlin)
anschließend Empfang
Mittwoch, 4. Juli 2007
Ort: Einstein-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
GRÜNDE UND ABGRÜNDE DES LAGERS
9.00 Uhr: Begrüßung
Manfred Sapper (Redaktion OSTEUROPA Berlin)
Präsentation des Themenheftes OSTEUROPA 6/2007: Das Lager schreiben. Varlam Šalamov und die Aufarbeitung des Gulag
9.15 Uhr: Themenblock I
Das Lager deuten. Orte und Funktionen in der Sowjetunion
Nicolas Werth (Centre national de la recherche scientifique - CNRS Paris)
Irina Ščerbakova (MEMORIAL Moskau)
Klaus Gestwa (Universität Tübingen)
Moderation: Manfred Sapper (Redaktion OSTEUROPA)
11.15 Uhr: Themenblock II
Das Lager vergleichen. Orte und Ordnungen des Terrors
Egbert Jahn (Universität Mannheim)
Irina Flige (MEMORIAL St. Petersburg)
Sybille Steinbacher (Friedrich-Schiller-Universität Jena)
Estela Schindel (Freie Universität Berlin)
Harry Wu (Laogai Research Foundation Washington)
Moderation: Volker Weichsel (Redaktion OSTEUROPA)
14.00 Uhr: Themenblock III
Das Lager schreiben
Sigrid Weigel (Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin)
Stephan Braese (Technische Universität Berlin)
Aurélia Kalisky (Association Internationale de Recherche sur les Crimes contre l'humanité et les Génocides Paris/Berlin)
Franziska Thun-Hohenstein (Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin)
Moderation: Katharina Raabe (Suhrkamp Verlag Berlin)
16.30 Uhr: Themenblock IV
Das Lager übersetzen
Podiumsgespräch mit Luba Jurgenson (Übersetzerin, Paris) und Gabriele Leupold (Übersetzerin, Berlin)
Moderation: Eveline Passet (Übersetzerin, Berlin)
18.15 Uhr: Dokumentarfilmvorführung: Neskol’ko moich žiznej (Meine verschiedenen Leben) (Sowjetunion 1990, 50 min, mit dt. Übersetzung)
anschließend Empfang
Donnerstag, 5. Juli 2007
Ort: exploratorium berlin, Mehringdamm 55 (Sarotti-Höfe), 1.Hof, 3. OG, 10961 Berlin
19.30 Uhr: Konzert "Musik aus Gulag und KZ" (Pianist: Jascha Nemtsov)
Kompositionen von Gideon Klein, Viktor Ullmann, Aleksandr Veprik und Vsevolod Zaderackij