Märtyrer und Abgefallene. Eine Kulturgeschichte des Martyriums in Bildern
Program
Veranstaltung der Reihe zum Jahresthema des ZfL: Märtyrer. Schlüssel zum Verhältnis der Religionen und Kulturen
Zwischen
Leben und Tod, Leiden und Triumph, Eros und Thanatos oszillierend,
zählt der Märtyrer und Heilige zu den zentralen Bild-Topoi der Kunst-
und Kulturgeschichte. Die gemeinsame Führung durch einen Theologen und
einen Kunsthistoriker greift einige der berühmtesten Märtyrer heraus,
die in der Kunst vom Mittelalter bis zum Barock als Leidens- und
Sinnstiftungsfiguren dargestellt und von Künstlern wie Botticelli,
Rubens und Tiepolo in ihr je eigenes Formenvokabular übersetzt wurden.
Antike Märtyrer wie der Hl. Sebastian eigneten sich dabei besonders als
kulturelle Bildmuster, um auf zeitgenössische Krisenerfahrungen
aufmerksam zu machen. So erfuhr die Darstellung des Hl. Sebastian, der
als Pestheiliger verehrt wurde, in Zeiten von Epidemien eine deutliche
Konjunktur. Der Märtyrer und Heilige, dies zeigt das Beispiel, ist eine
kulturelle Projektionsfigur, die in historisch variabler Weise
aktualisiert wird.
Florian Schneider
Studium der
Katholischen Theologie und Germanistik in Regensburg und Wien. Seit 2003
kunsthistorisch-theologische Führungen in der Reihe "Samstags um Elf"
an der Berliner Gemäldegalerie. Schwerpunkte: Theologie des Neuen
Testaments, Kirchengeschichte der Antike, Geschichte der
Heiligenverehrung, Mariologie. Im Hauptberuf Kommunikationsberater.
Thomas R. Hoffmann
Studium
der Kunstgeschichte und Geschichte in Trier und an der HU Berlin. Seit
dem Jahr 2000 freier Mitarbeiter der Gemäldegalerie Berlin; seit 2002
Dozent an der Akademie der Staatlichen Museen zu Berlin. Schwerpunkte:
flämische und niederländische Barockmalerei. Für den BelserVerlag
(Stuttgart) zahlreiche Veröffentlichung, darunter mehrere Bücher der
Reihe "Wie erkenne ich Kunst?"
Eintritt
Museumseintritt:
Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre frei, Erwachsene 8,00 €, ermäßigt:
4,00 €; für die Führung fallen keine weitere Gebühren an. An beiden
Führungen können maximal je 25 Personen teilnehmen. Anmeldung bitte an trajekte@zfl-berlin.org.
Die für die Teilnahme an der Führung benötigten Zählkarten können vom
8.–12. Oktober 2007 im Zentrum für Literatur- und Kulturforschung
Berlin, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, Raum 335, 3. Etage, in der Zeit
von 10–12 und 14–16 Uhr abgeholt werden (Tel. 030/20192-155/-171).
Treffpunkt für die Führungen jeweils 15 min. vor Führungsbeginn: Zentrale Eingangshalle, Information.
Märtyrer – Schlüssel zum Verhältnis der Religionen und Kulturen
Allenthalben
ist eine Renaissance der Religionen in der Politik und Kultur zu
verzeichnen – auch in solchen modernen Gesellschaften, die sich noch vor
kurzem als weitgehend säkular betrachtet haben. In diesem Zusammenhang
stellt die Wiederkehr des Märtyrermodells eine besonders beunruhigende
Komponente dar. Mit den Selbstmordattentätern, die sich als Märtyrer
verstehen und auch von ihren Gemeinschaften als solche verehrt werden,
ist eine Figur auf den Schauplatz der Geschichte zurückgekehrt, von der
das säkularisierte Europa annahm, dass sie längst vergangenen Zeiten
angehört. Bei aller Fremdheit der Bilder, die durch die Medien von den
internationalen Kampfschauplätzen übermittelt werden, gibt es stets auch
Wiedererkennungsmomente: aufgrund der vielen religiösen Symbole, in
denen nicht selten Zeichen der christlichen Ikonographie auftauchen, und
aufgrund der Chiffren aus Pop- und Massenkultur, derer sich die
Propaganda der Selbstmordattentate und die Verehrung ihrer Akteure
bedient. Durch diese Bilder wird deutlich, dass hier auch Momente aus
der europäischen Tradition im Spiele sind. Sie erinnern an bekannte
Mythen und Deutungen aus der Geschichte der kollektiven Verarbeitung von
Toten aus Kriegen, Gewaltherrschaft und Katastrophen.
Die
Beschäftigung mit der vielfältigen Tradition von Märtyrern in der
Kulturgeschichte erhellt nicht nur religiöse Zusammenhänge politischer
Gewalt, sondern auch die Verbindungen und die Differenzen
zwischen den drei monotheistischen Religionen. Denn die Verehrung von
Märtyrern spielt sowohl in christlichen und islamischen als auch in
jüdischen Kulturen eine zentrale Rolle. Zugleich schärft der Blick auf
die Kontinuität und den Wandel von Märtyrermotiven die Sensibilität für
die vergessenen, gleichwohl aber fortwirkenden Prägungen auch der
Moderne durch Muster, die der Verknüpfung von Opfer und Verehrung, von
Passion und Pathos entstammen.
Die theologische Figur des Märtyrers (von griechisch martyr,
'Zeuge'), dessen Entstehung mit einer semantischen Umdeutung des Zeugen
in den Blutzeugen einhergegangen ist, verbindet das Opfer des eigenen
Lebens – sei es durch Selbsttötung oder Inkaufnahme des eigenen Todes –
mit einem Bekenntnis: sei es zur Wahrheit oder Tugend, zum Glauben oder
zu den Religionsgesetzen. Damit wird das physische Sterben zur
Manifestation eines metaphysischen Sinns. Als nach einer Geschichte
mythischer, antiker und judaischer Vorformen die Passion Christi zum
zentralen Bezugspunkt einer emphatischen Märtyrerkultur geworden war,
hat diese sich seither mehrheitlich in Formen und Variationen einer
Imitation der Passion, der Nachahmung eines heiligen Martyriums, weiter
entwickelt: als Genealogie, in der sich Vorbild und Nachahmung ablösen, –
und als Kette der Leiden und Leidenschaften. Davon ausgehend hat sich
in der Geschichte von Säkularisierung und Modernisierung die Bedeutung
des 'Märtyrers' auch in nicht genuin religiöse Felder ausgeweitet: als
Figur eines heroischen, geheiligten oder idealisierten Sterbens für
einen höheren Wert, für die Interessen oder Ideale einer Gemeinschaft,
Nation oder Idee. Die Gestalt des heiligen Kriegers oder Gotteskrieger,
sei es in Gestalt des christlichen Kreuzritters, des islamischen
Schlachtfeldmärtyrers oder des zeitgenössischen Selbstmordattentäters,
hat sich dabei auf den Schauplätzen der Politik als besonders wirksam
erwiesen. Dagegen ist die mystische Umformung des Martyriums in eine
sublime Form gesteigerter sinnlicher Offenbarung, wie sie in der
mittelalterlichen Mystik ausgebildet wurde, zu einer Vorlage
ästhetischer Programme – auch und gerade – in der Moderne geworden.
Die
Strukturen und Elemente der Märtyrertradition sind somit zum einen
geeignet, die verborgenen religionsgeschichtlichen Grundlagen der
Moderne sichtbar zu machen; zum anderen erhellen sie grundlegende Motive
(nicht nur) der europäischen Kulturgeschichte. Das Deutungsmuster des
Märtyrers kommt immer dann zum Einsatz, wenn es darum geht, radikale
Umdeutungen vorzunehmen: Opfer in Helden zu verwandeln, Ohnmacht in
Macht, Schmerz in Lust, Leiden in Leidenschaft, Askese in mystische
Ekstase – und den (realen) Tod in ein (imaginäres) ewiges Leben,
Insofern verkörpert der Märtyrer, einem Revenant gleich, die
Formensprache der abendländischen Imaginations- und Bildgeschichte seit
der Antike. (Sigrid Weigel)