18.05.2015

In memoriam Eberhard Lämmert

Nachruf auf den Gründungsdirektor des ZfL Eberhard Lämmert

Mit Eberhard Lämmert verliert das Zentrum für Literatur- und Kulturforschung seinen Gründungsdirektor, der diese in Format und Profil ebenso innovative wie ungewöhnliche Einrichtung erfolgreich auf den Weg gebracht hat. Im Horizont des überwältigenden Spektrums seines Wirkens fällt diese Leistung in biographischer Hinsicht in eine Phase, in der andere Wissenschaftler sich an den häuslichen Schreibtisch zurückziehen. Als Lämmert 1992 emeritierte und nach einer langjährigen Tätigkeit als Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft am Peter-Szondi-Institut der FU Berlin von seinem Amt zurücktrat, nutzte er seine einflussreiche Stellung als Wissenschaftspolitiker und als renommierter Literaturwissenschaftler, um die Umbrüche der deutschen Wissenschaftslandschaft nach 1989 in kreativer Weise mit zu gestalten. Es war mindestens das dritte Mal, dass sein wissenschaftliches Engagement sich mit Veränderungen von historischem Gewicht traf: Nach der Befreiung der Germanistik aus ihrer nachkriegsdeutschen Enge durch die Aufarbeitung nationalistischer Befangenheiten der deutschen Philologie auf dem Germanistentag 1966 und nach den Zerreißproben in den politischen Debatten um die Universitätsreform in der Folge der Studentenbewegung, als Lämmert seit 1976 das Amt des Präsidenten der FU innehatte, wirkte er nun erneut auf einem Schauplatz, auf dem Zeitgeschichte und Wissenschaftspolitik zusammenstießen. Die Funken, die in solchen Momenten gewöhnlich fliegen, verstand Lämmert stets in nutzbare Energie zu verwandeln, aus der Neues entstehen konnte.

So übernahm er 1992 die Leitung des (von der Max-Planck-Gesellschaft betreuten) Forschungsschwerpunkts Literaturwissenschaft der Fördergesellschaft Wissenschaftliche Neuvorhaben, die als vorübergehender Ort für Forschergruppen aus der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR gedacht war, deren Mitarbeiter einen mehrstufigen Evaluierungsprozess durchlaufen hatten. Zusammen mit einigen Mitstreitern sorgte er dafür, dass aus dem Provisorium kein Dauerzustand wurde, und setzte die Gründung der Geisteswissenschaftlichen Zentren für eine Pilotphase (von 1996 bis 2007) durch. Zugleich sorgte er dafür, dass die Empfehlungen des Wissenschaftsrats nicht bloße Rhetorik blieben und nahm den Aufbau eines der Zentren selbst in die Hand. Wille zur Innovation und Mut zum Experiment waren notwendig, einer in institutioneller und finanzieller Hinsicht höchst fragilen Institution jene ehrgeizigen Ziele ins Stammbuch zu schreiben, die den damals engagiert geführten Diskussionen zur Frage einer zeitgemäßen geisteswissenschaftlichen Forschung und zur Öffnung fachwissenschaftlicher Perspektiven entsprangen. Schon die Aufgabe, eine methodische und personelle Integration östlicher und westlicher Wissenschaftskulturen und Denkstile zu bewerkstelligen, war ja nicht wenig anspruchsvoll. Doch wurde zusätzlich die politische Notwendigkeit, eine neue Einrichtung für geisteswissenschaftliche Forschung zu etablieren, in den Gründungsempfehlungen in eine Chance umgemünzt: die GWZ als Haus für interdisziplinäre, kulturwissenschaftlich ausgerichtete und projektförmig betriebene Forschung in internationaler Perspektive. Wie sich gezeigt hat, wurde die erstgenannte Aufgabe durch diese ehrgeizige Zielsetzung nicht belastet, sondern beflügelt.
Als Literaturwissenschaftler war Lämmert ein Grenzgänger und Traditionsbewahrer zugleich, der sich sowohl der Literatur des Mittelalters als auch jener der Neuzeit und Moderne widmete. Ein besonderes Augenmerk galt der Sozialgeschichte der Literatur, wie etwa dem Status des ›freien Schriftstellers‹, dem die Studien aus dem Buch Respekt vor den Poeten (2009) gelten. Das Standardwerk aus seiner Feder, die vielfach wieder aufgelegten Bauformen des Erzählens (1955) sind nicht nur ein Beitrag zur Narratologie, sondern auch ein früher Beitrag zur Horizonterweiterung der Germanistik hin zur Vergleichenden Literaturwissenschaft. Oft ist darauf hingewiesen worden, dass Titel und Ansatz der Bauformen sich Lämmerts Studium der Bergbauwissenschaft und Geologie verdanken, das dem Studium der Germanistik und Geschichte vorausgegangen war. Doch hat Lämmert daraus auch die Einsicht in den Gewinn des Einblicks in die Betrachtungsweisen und das Wissen anderer Fächer mitgenommen, die ihn für interdisziplinäre Forschungsvorhaben nicht nur offen und neugierig gemacht hat; er hat sie auch nach Kräften unterstützt. Das gilt in besonderer Weise für das interdisziplinär ausgreifende Historische Wörterbuch Ästhetische Grundbegriffe (20002005, 7 Bände), dessen Konzeption im Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR erarbeitet worden war. Dass dieses ehrgeizige Mammutvorhaben nach der Wende realisiert werden konnte, wurde durch Lämmerts Unterstützung ermöglicht, indem er dafür sorgte, dass der Spiritus Rector des Vorhabens, Karlheinz Barck, mit seinen Kollegen am ZfL daran arbeiten konnte. (Sigrid Weigel)
Dieser Nachruf ist veröffentlicht in: Bericht über das Forschungsjahr 2014. Jahresbericht der Geisteswissenschaftlichen Zentren Berlin, hg. v. GWZ Berlin, S. 11–12.


Einzelne Stimmen


»Mit Eberhard Lämmert verlieren die deutschen Geisteswissenschaften einen ihrer herausragenden Köpfe«, würdigte ihn Ulrich Raulff, Direktor des Literaturarchivs Marburg.

In seinem Beitrag für den Jahresbericht der GWZ von 2009 (S. 22f.) schrieb Thomas Steinfeld, Literaturkritiker der Süddeutschen Zeitung, anlässlich von Eberhard Lämmerts 85. Geburtstag: »Oft hat man Eberhard Lämmert für seinen Pragmatismus und seine Offenheit gelobt. Aber eigentlich heißt das, die Konzentration auf das Gemachtsein zu schlicht und ihn zu leicht zu verstehen  denn das Gemachte verwandelt sich in seiner Arbeit in Botenstoffe, die sich flimmernd untereinander auszutauschen beginnen, und es bedarf der ganzen Souveränität eines Gelehrten von Welt, eines eleganten Professors und Besitzers eines grünen Sportwagens, um dieses Flimmern zu bannen und in eine ebenso zugänglich und wie selbstverständlich sich selbst tragende Sprache zu verwandeln.«

Für das online-Magazin der FU schrieb Sigrid Weigel: »In etlichen Szenen hatte ich Eberhard Lämmert auf der Arena der Wissenschaftspolitik als klugen, weitsichtigen Akteur erleben dürfen, immer offen für neue Ideen: Wie er Anfang der 90er als Kuratoriums-Vorsitzender des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) agierte, wo ich, als Jüngste und einzige Frau im Vorstand, bei ihm einen interessierten Gesprächspartner fand; dann etliche Jahre später bei den gemeinsamen Gängen zum Brandenburger Ministerium, er in derselben Funktion wie in Essen, ich als Direktorin des Einstein-Forums, wo es uns gelang, deren Stutzung auf eine Zwerginstitution abzuwenden. Insofern hatte ich seine souveräne Autorität wie auch seine menschliche und intellektuelle Großzügigkeit schon erfahren, als er mir die Leitung des von ihm initiierten ZfL überantwortete. Dennoch war es eine überraschende und unvergessliche Erfahrung, mit welchem Einvernehmen über den Generationensprung hinweg der Wechsel möglich war: Lange vor meinem offiziellen ›Amtsantritt‹ bezog er mich ein, um den DFG-Antrag mit dem Forschungsprogramm der nächsten Jahre mit ihm zusammen auszuarbeiten, und gab mir darüber hinaus zu verstehen, dass er die zukunftsrelevanten inhaltlichen Akzente mir überlasse. Am Tag, als ich das Amt von ihm übernahm, war er in das Büro eines Projektleiters gewechselt. In dieser Rolle nahm er noch viele Jahre als engagierter an vielen Diskussionen des ZfL teil, später als Beobachter, der mit seiner Freude darüber, dass seine Gründung die Testzeit überlebte, ebenso großzügig war wie mit seiner Anerkennung.«

Veranstaltung »In memoriam Eberhard Lämmert«

Anlässlich des 90. Geburtstags von Eberhard Lämmert im September 2014 hatte ihn das ZfL mit einer Veranstaltung ehren wollen, die wegen seines Unfalls leider abgesagt werden musste. Es war mit ihm verabredet, dass diese, sobald es ihm wieder besser ginge, nachgeholt werden sollte. Unser Bedauern, dass es ihm nicht mehr vergönnt war, diese Hommage entgegenzunehmen, ist groß.
So laden wir nun zu einer Gedenkveranstaltung am 27.06.2015 um 18.00 Uhr ein, auf der wir einige Stationen von Eberhard Lämmerts Wirken als Literaturwissenschaftler und Wissenschaftspolitiker abschreiten.

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