Call for Papers: Politische Semantik in der DDR
Workshop, 11./12. Dezember 2025, ZfL Berlin
Das am ZfL erarbeitete Konzept für Das 20. Jahrhundert in Grundbegriffen. Lexikon zur historischen Semantik in Deutschland sieht eine wichtige Dimension des Unternehmens darin, auch die Sprache der DDR in die Untersuchung miteinzubeziehen. Fast die Hälfte des 20. Jahrhunderts war die deutsche Geschichte eine der getrennten Staatlichkeit. Vor diesem Hintergrund sollen die aufeinander bezogenen Sprachentwicklungen der in den Ost-West-Konflikt verwickelten Staaten BRD und DDR näher beleuchtet werden. Bereits deren Bezeichnungen waren konnotativ geladen und sollen ebenso untersucht werden wie die sprachlichen Friktionen und Eigentümlichkeiten, die im Zuge der Vereinigung zutage traten. Viele der bereits fertigen Artikel des Lexikons zeigen, dass dieser Anspruch nicht leicht zu realisieren ist. Der Wendepunkt 1989 verführt dazu, den Einfluss des Kalten Krieges auf die Geschichte vieler Begriffe zu unterschätzen, sie nicht in ihrer Offenheit und brisanten Umstrittenheit zu sehen, sondern rückwirkend in einer Siegergeschichte westlicher Diskurse zu nivellieren. In diesem Zusammenhang stellen sich in Bezug auf verschiedene politische Perioden folgende Fragen: Hatte die sowjetische Besatzung nach 1945 vergleichbare semantische Wirkungen wie die parallel verlaufende Reeducation? Welche Begriffe des NS wurden in der DDR kritischer behandelt als in der BRD, welche nicht? Wirkte sich das Ausbleiben der für die BRD spätestens seit den 1970er Jahren typischen Amerikanisierung der Diskurse in der DDR so aus, dass ältere, etwa bildungsbürgerliche Begriffe länger weiterwirkten? Welchen Einfluss hatten westliche Medien und Semantiken abseits der offiziellen Sprachebene auf die DDR? Wie kann man die – zweifellos auch im politischen System der DDR zwischen den verschiedenen Akteuren – umstrittenen Begriffe untersuchen? Schließlich ließe sich fragen, wie die Entwicklung der Sprache im Osten im größeren Rahmen zu interpretieren ist: Treffen Kosellecks Sattelzeitthese und deren Prozesslogiken auch auf das östliche Europa zu? Und wie steht es mit den Hypothesen für die Logiken des 20. Jahrhunderts wie die Verwissenschaftlichung des Sozialen oder den für viele Grundbegriffe des Westens verifizierbaren Umbruch in den 1970er Jahren?
Die konstatierte Asymmetrie hat einen Grund auch in der unterschiedlichen Quellenlage und ihrer digitalen Verfügbarkeit. Bislang verwenden die Beiträger*innen zum Lexikon meist Lexika bzw. die wenigen digitalisierten zentralen Staats- und SED-Medien und gehen implizit von der (eher unwahrscheinlichen) Annahme aus, dass diese repräsentativ für die Sprache der DDR sind. Auch unsere großen, durch digitale Tools wie SCoT, COSMAS II oder DiaCollo zu untersuchenden Sprachkorpora erlauben kaum differenzierte Recherchen. Welche Aufschlüsse bieten andere spezifische Quellen des Ostens (z.B. stärker rezipierte Zeitungsmedien wie das Forum, die Wochenpost, der Sonntag; graue Literatur, kirchliche Medien, Samisdat-Literatur)? Müsste nicht – anders als in der Bundesrepublik – die ›hohe‹ Literatur stärker einbezogen werden, die, zumindest für einen Teil der Bevölkerung, die eingeschränkte Öffentlichkeit ersetzte? Es ist aber umgekehrt auch möglich, dass alternatives Sprechen in der DDR quantitativ keine andere Rolle gespielt hat als Randdiskurse in der Bundesrepublik, die ebenfalls nicht im Lexikon berücksichtigt werden. Der Blick auf die DDR könnte auch die Frage nach Selbstverständlichkeiten bei der Behandlung westlicher Diskurse und ihrer Repräsentativität aufwerfen.
In dem Workshop wollen wir die Behandlung der politischen Semantik in der DDR in den Mittelpunkt rücken und exemplarisch an Artikeln und Begriffen diskutieren. Dabei sollen speziell solche Lemmata im Zentrum stehen, die entweder im Kalten Krieg besonders umstritten waren oder die im Untersuchungszeitraum vor allem in der DDR als Grundbegriffe galten. Zu solchen in Arbeit befindlichen bzw. noch nicht vergebenen Artikeln zählen: Arbeit, Ausbeutung, Deutschland/deutsch, Diktatur, Eigentum (mit dem Sub-Begriff Volkseigentum), Faschismus, Fortschritt, Ideologie, Imperialismus, Klasse, Konsum/Konsument, Kultur, Nation/Nationalismus, Plan/Planung, Produktion, Solidarität, Sozialismus, Volk.
Als Vortragslänge sind 30–45 Minuten vorgesehen. Für eingeladene Referent*innen können die Reise- und Unterkunftskosten übernommen werden.
Wir bitten Interessierte um eine Darstellung des Vorhabens auf 1–2 Seiten. Einsendeschluss ist der 30. Juni 2025. Kontakt: schmieder@zfl-berlin.org