14 Dec 2017

John Zilcosky (University of Toronto) erhält Friedrich Wilhelm Bessel-Forschungspreis

John Zilcosky (University of Toronto) erhält auf Vorschlag von Stefan Willer, Vizedirektor des ZfL, den mit 45.000 Euro dotierten Friedrich Wilhelm Bessel-Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung. Die Preisträger werden für ihre herausragenden Forschungsleistungen ausgezeichnet. Zudem wird von ihnen erwartet, dass sie zukünftig durch weitere wissenschaftliche Spitzenleistungen ihr Fachgebiet auch über das engere Arbeitsgebiet hinaus nachhaltig prägen.

John Zilcosky, seit 1999 Professor an der University of Toronto, hat in seiner doppelten Affiliation am Department of Germanic Languages & Literatures sowie am Centre for Comparative Literature entscheidend an der Profilierung dieser für die nordamerikanische Forschungslandschaft überaus wichtigen geisteswissenschaftlichen Institutionen mitgewirkt. Dabei ist er zu einer Schlüsselfigur der internationalen German Studies und der Comparative Literature geworden. Mit großer philologischer Kenntnis, systematischer Präzision und kulturhistorisch weit gespannten Interessen arbeitet Zilcosky im Modus fortwährender Horizonterweiterungen.

So gelingt es ihm, im Innern eines vermeintlich kohärenten und gesicherten literarischen Kanons Vorgänge der Grenzüberschreitung, der Ver- und Befremdung aufzuzeigen. In einer Vielzahl von Aufsätzen sowie in seinen Monographien Kafka's Travels: Exoticism, Colonialism, and the Traffic of Writing (New York: Palgrave, 2003) und Uncanny Encounters: Literature, Psychoanalysis, and the End of Alterity (Evanston, Ill: Northwestern University Press, 2016) legt er dar, wie in der literarischen Moderne die Zuweisungen von Eigen und Fremd durch literarische Darstellungstechniken in Irritationen und Auflösungen geraten, so dass das Fremde im Eigenen und das Eigene im Fremden sichtbar werden. Systematisch untersucht er damit auch die zuvor nicht wahrgenommene Verbindung zwischen den anerkannten ›Höhenkamm‹-Texten der literarischen Moderne und der zur selben Zeit publizierten Reise- und Abenteuerliteratur mit ihren Narrativen von Exotismus und Fremdheit.

In seinen neueren Publikationen betont Zilcosky vor allem die Rückseite des von ihm zuvor rekonstruierten modernen Verfremdungsdiskurses: die Wiederkehr des Vertrauten im scheinbar gänzlich Unbekannten, die sich sowohl in der Literatur als auch in der Ethnographie des frühen 20. Jahrhunderts beobachten lässt. Diese Denk- und Wissensfigur des im psychoanalytischen Sinne ›Unheimlichen‹ untersucht er ausführlich in seinem Buch Uncanny Encounters, in dem er die extensive quellenkundliche und kulturwissenschaftliche Rekonstruktionsarbeit des New Historicism mit der Tradition des Close Reading und seiner Versenkung ins textuelle Detail verbindet. Neben diesem Buch sind weitere Arbeiten zum Zusammenhang von Psychoanalyse und Literatur im frühen 20. Jahrhundert erschienen, in denen das Konzept des ›Traumas‹ eine zentrale Rolle spielt.

Am ZfL wird John Zilcosky an zwei Buchprojekten arbeiten. Zum einen schreibt er eine Kultur- und Literaturgeschichte des Ringkampfs mit dem Arbeitstitel Wrestling with Culture: From Plato to Beowulf to Hulk Hogan. Dabei denkt er Sport, Philosophie, Ästhetik und Pädagogik zusammen, so dass in der kulturgeschichtlich vermeintlich randständigen Disziplin des Ringens wesentliche Aspekte abendländischer Körperwahrnehmung, einschließlich des Leib-Seele-Problems, auf völlig neuartige Weise diskutiert werden können. Zum anderen arbeitet er an einem Buch über Franz Kafka, für das einige seiner in den letzten Jahren entstandenen Aufsätze unter dem Titel Kafka's Unreadable Tears umgearbeitet und zusammengefasst werden sollen. Im Mittelpunkt stehen die Figuren der Kranken und der Krankheiten, deren Prominenz in Zilcoskys Lesart nicht zuletzt der Versicherungstätigkeit des Autors geschuldet ist. Zilcoskys Kafka-Studien verbinden Kulturgeschichte und Close Reading und haben sich als impulsgebend für die internationale Kafka-Forschung erwiesen.

Für beide Projekte findet John Zilcosky am ZfL ein entsprechendes Forschungsumfeld. Das gilt insbesondere für den Schwerpunkt Lebenswissen, in dem ästhetische, ethische, biologische und medizinische Konzepte des Organischen und Lebendigen in vielfältigen Verschränkungen diskutiert werden.

Am 17. Januar 2018, 19.00 Uhr, wird John Zilcosky im ZfL einen Mittwochsvortrag mit dem Titel Wrestling, or The Art of Disentangling Bodies halten.