ZfL INFO 111/2022: Call for Papers: Chancen des Gelächters
Call for Papers: Chancen des Gelächters. Zur Ästhetik und Politik des Humors bei Walter Benjamin
Podiumsdiskussion (Veranstaltungsort: n.n.) und Workshop (Walter Benjamin Archiv, Berlin), 13.–15. April 2023
Organisation: Szilvia Gellai, Kevin Drews
Der Workshop wird aus Mitteln des Walter Benjamin Förderpreises für junge Forschende finanziert und vom Walter Benjamin Archiv (Berlin), dem Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL, Berlin) und der International Walter Benjamin Society unterstützt.
Obwohl Benjamin die Komik bereits im Trauerspiel-Buch als »die obligate Innenseite der Trauer« bestimmt, gehört das Bild des melancholischen Intellektuellen nach wie vor zum Standardrepertoire der Forschung. Tatsächlich verhält es sich mit dieser heiteren »Innenseite« nicht nur im barocken Trauerspiel wie mit dem »Futter eines Kleides im Saum oder Revers«, sondern auch in Benjamins Schaffen. Humor, Lachen, Heiterkeit, Witz und Komik bleiben hier meist diskret verhüllt, zeigen sich eher in kleinen Formen oder blitzen en passant auf. »Nur nebenbei sei angemerkt«, heißt es symptomatisch in Der Autor als Produzent, »dass es fürs Denken gar keinen besseren Start gibt als das Lachen. Und insbesondere bietet die Erschütterung des Zwerchfells dem Gedanken gewöhnlich bessere Chancen dar als die der Seele.« Zu der breit diskutierten Verschränkung von Melancholie und allegorischer Anschauungsweise stehen besagte Erschütterungen durch das Lachen in einem auffälligen Spannungsverhältnis. Deutlich wird dies zum Beispiel in Benjamins Beschäftigung mit Paul Scheerbart, Salomo Friedlaender, Karl Kraus, Jean Paul, Max Kommerell, Gottfried Keller, Johann Peter Hebel, Sigmund Freud, Charles Fourier, H.H. Jahn. Dimensionen der Heiterkeit und Chancen des Gelächters spielen in den Schriften zu kindlichen Wahrnehmungs- und Äußerungsweisen, zur Technikrezeption, zur Micky Maus oder in den Selbstversuchen mit Haschisch eine wichtige Rolle. Gleiches gilt auch für die Aufzeichnungen zur fiktiven Universität Muri (Acta Muriensa) sowie die selten beachteten Polemiken und Satiren, die vor allem hinsichtlich ihrer konkreten Kontexte und zeitgeschichtlichen Anlässe zu entdecken sind.
Der Workshop möchte die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung dieser Phänomene lenken. Benjamins humoristische Einlassungen bieten dem Gedanken schon auch deshalb eine beachtliche Starthilfe, weil sie sich häufig an der Schnittstelle von Ästhetik und Politik bewegen. Humor erhält also eine Grenzfunktion. So attestiert Benjamin Scheerbarts Astroiden-Roman Lesabéndio das Potential, von der utopischen Kraft des Kunstwerkes zu »zeugen«, die nicht direkt zur Sprache kommen kann. Denn der Humor komme dort zum Tragen, wo das Wort nicht mehr oder allenfalls »in einer tiefen Verhüllung« vermitteln könne. Damit steht Humor in enger Relation zu Benjamins Versuchen, auf das messianische Unverfügbare durch prekäre ästhetische Vorgänge wie Zeigen, Hindeuten, Zeugen, Verweisen aufmerksam zu machen. Andernorts wird der Humor als »angewandte Gerechtigkeit« oder »Rechtsprechung ohne Urteil« charakterisiert, was auf politische Überlegungen aus dem Aufsatz Zur Kritik der Gewalt verweist. Im »Reich der Sprache« vermag der Humor nämlich »die dämonischen Gewalten in dem des Rechts« zu überwinden. Mit Blick auf Marcel Proust betont Benjamin wiederum die »subversive Seite« der Komik, die der »saturierten Gesellschaft« nicht nur einen Spiegel vorhält, sondern sie mehr noch »im Gelächter nieder[schleudert]«. Denkwürdig ist nicht zuletzt auch der politische Gegensatz, den Benjamin in den Notizen zum Kunstwerk-Aufsatz zwischen der »Heiterkeit des Kommunismus« und dem »tierischen Ernst des Faschismus« aufspannt. Diese Polarität hängt nämlich aufs Engste mit der Vorstellung einer gelungenen Technikrezeption zusammen; mit der Vorstellung, dass die destruktive Seite industrieller Technologien und das kleinbürgerliche Menschenbild des Humanismus durch die technische Neuorganisation der kollektiven Physis überwunden werden können. Im Ansatz verdeutlicht schon das kollektive Gelächter im Kino (angesichts etwa Chaplins Modern Times) das metamorphotische Potential einer ›heiteren‹ Technikrezeption. Einige dieser Motive wurden jüngst aus einer posthumanistischen Perspektive aufgegriffen. Daran anschließend werden im Workshop den Überlegungen zu einem ›neuen Menschen‹ solche über den Humor zur Seite zu stellen sein.
Die Veranstaltung möchte junge Forscher:innen zusammenbringen, um die vielfältigen Einsatzpunkte, Argumentationen und Chancen rund um Humor, Lachen, Heiterkeit, Witz und Komik in Benjamins Schriften zu diskutieren. Dabei soll es nicht darum gehen, eine verdeckte, übersehene oder fragmentierte Theorie freizulegen. Ziel des Workshops ist es vielmehr, das Feld unterschiedlicher Reflexionen über die genannten Phänomene auszumessen. Da die einschlägigen Einlassungen häufig im Rahmen einzelner Autorenporträts zu finden sind, stellt sich außerdem die Frage nach konkreten intertextuellen Beziehungen, intellektuellen Resonanzen und ästhetikgeschichtlichen Echos. Daher gilt es, Benjamins Texte primär in konkreten Debatten, intellektuellen Konstellationen und diskursiven Rahmen eingebettet zu betrachten. Woran entzünden sich Benjamins Reflexionen über Humor, Lachen, Heiterkeit, Witz und Komik? Wie konzipiert er diese Phänomene? Auf welche zeitgeschichtlichen Debatten reagiert er dabei? Welche strategisch inszenierten intertextuellen Bezüge ruft er dafür auf? Welche Argumentations- und Denkfiguren, Topoi oder Bilder stehen mit Humor im Zusammenhang? Welche Reflexionen über die eigene Schreibposition begleiten Anlässe des Gelächters? In welchem Verhältnis stehen diese zur Rolle der Melancholie und der Allegorie?
Der Workshop findet vom 14. bis 15. April 2023 im Walter Benjamin Archiv in Berlin statt. Interessierte laden wir dazu ein, Beitragsvorschläge (ca. 300 Wörter) mit bio-bibliographischen Angaben (max. 150 Wörter) einzureichen sowie Benjamin-Texte zur gemeinsamen Lektüre zu nominieren. Während der Workshoptage wechseln sich Slots mit kurzen Impulsvorträgen (15–20 Min) und Benjamin-Lektüren ab. Um den Werkstattcharakter der Veranstaltung zu gewährleisten, möchten wir den Schwerpunkt auf die Diskussionen legen. Vorträge können auf Deutsch und Englisch gehalten werden, die Arbeitssprache ist primär Deutsch.
Zusendungen bitte bis zum 15. Januar 2023 an folgende Adressen:
szilvia.gellai@univie.ac.at
kevin.drews@germanistik.uni-halle.de
Für den Vorabend der Veranstaltung (13. April, Ort: n.n.) ist ein Podiumsgespräch über die Medien des Humors bei Benjamin geplant. Geführt wird das Gespräch vornehmlich mit Künstler:innen, die sich Benjamins Arbeiten über verschiedene Medien und historisch-konstellierende Verfahren angenähert haben. Auf diese Weise sollen die im Workshop eröffneten kulturwissenschaftlichen Perspektiven um Seitenblicke auf künstlerische Praktiken ergänzt werden.
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