ZfL INFO 50/2018: Neue Beiträge im ZfL BLOG
Hanna Hamel: HOUELLEBECQS SCIENCE-FICTION. »Unterwerfung« und »Die zweite Invasion der Marsianer« der Strugatzkis
Am 6. Juni 2018 wurde die deutsche Fernsehverfilmung von Michel Houellebecqs Roman »Unterwerfung« in der ARD gesendet. Auf die Erstausstrahlung folgte eine Gesprächsrunde zum Thema »Die Islamdebatte: Wo endet die Toleranz?« An der Programmzusammenstellung wird das Missverständnis deutlich, das sich in der öffentlichen Diskussion von »Unterwerfung« etabliert hat. Dieses Missverständnis besteht darin, die »Islamdebatte« als Thema des Romans zu begreifen und deshalb dessen Szenario zum Gegenstand einer politischen Debatte zu machen. Dabei hat sich die Verfilmung zumindest bemüht, die Romanhandlung über Verfremdungseffekte als fiktionale Perspektivierung zu markieren. Der Film rahmt die Erzählung des Romans, indem er den Darsteller Edgar Selge als Hauptfigur einsetzt, der am Deutschen Schauspielhaus den Protagonisten der Romanhandlung spielt. Es handelt sich also um eine gerahmte Verfilmung der Hamburger Romandramatisierung. Damit wird dem Missverständnis aber nur auf doppelte Weise Vorschub geleistet.
Albrecht Koschorke: AUF DER ANDEREN SEITE DES GRABENS
Wer die öffentliche Debatte über populistische Bewegungen verfolgt, dem könnte leicht Karl Valentins Spruch in den Sinn kommen, es sei schon alles gesagt, nur noch nicht von allen. Seit Brexit und Trump laufen politische Gegenwartsanalysen fast automatisch darauf hinaus, sich am Rätsel des Rechtspopulismus abzuarbeiten. Immerhin ist dabei eine ansteigende Lernkurve zu verzeichnen. Die ersten Reaktionen auf rechtspopulistische Abstimmungserfolge waren von Schock und völligem Unverständnis gekennzeichnet. Kommentatoren mit akademischem Hintergrund (den Verfasser dieser Zeilen eingeschlossen) glaubten sich einer Spezies »verrückter Anderer« gegenüber, von denen sie bis dahin keine Notiz genommen und mit denen sie keinerlei soziale Berührung hatten. Die auch in den etablierten Medien vorherrschende Meinung war, dass hier Menschen nicht wussten, was sie taten, und bald aus ihrem Irrglauben aufwachen müssten.
Eva Geulen: ÜBER RAOUL SCHROTTS »ERSTE ERDE. EPOS« (zum dritten Mal)
(1) Umgang mit Fülle
Erste Erde hat Vorläufer. Lukrezens vergleichsweise schmales Lehrgedicht De rerum natura nennt Schrott selbst (8). Goethe, der sich für eine Übersetzung des Buches eingesetzt hatte, wollte 1781 einen »Roman über das Weltall« schreiben. Erhalten haben sich aber nur zwei kurze Prosatexte über den Granit, der damals als ältestes Gestein galt. Herder brachte es mit seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784–1791) auf stattliche vier Bände und hatte dabei über Erde und Weltall mindestens ebenso viel zu sagen wie über den Menschen. Alexander von Humboldt stellte seinen fünfbändigen Kosmos zwischen 1845 und 1862 fertig. Auch als die kleine Welt des Berliner Wedding in Arno Holz’ wuchernder Gedichtsammlung Phantasus (ab 1898) zum Universum wurde, wuchs eine große Form heran (in der Nachlassausgabe von 1961/62 ca. 1.600 Seiten). Der Wahnsinn dicker Bücher hat eine lange Geschichte und meistens auch Methode.
Hannes Bajohr: Ein Anfang mit der Sprache. HANS BLUMENBERGS ERSTE PHILOSOPHISCHE VERÖFFENTLICHUNG
Wollte man sagen, mit welchem Text Hans Blumenbergs Laufbahn als Philosoph begann, wäre der ›erste‹ unter ihnen nicht leicht zu bestimmen: Ist es Blumenbergs enthusiastische Rezension von Hannah Arendts Sechs Essays von 1948 oder doch eher der Aufsatz »Atommoral« von 1946 über die Hiroshima-Bombe? Dieser blieb allerdings, von den Frankfurter Heften abgelehnt, ebenso unveröffentlicht wie der Essay »Über Dostojewskis Novelle Die Sanfte« von 1945, den die Wandlung nicht druckte. Und freilich wäre für den jungen Blumenberg, der hier an die Öffentlichkeit drängt, auch vor 1945 ein Anfang zu vermuten: Wenn man einen kürzlich veröffentlichten Jugendaufsatz hinzunimmt, verschiebt er sich gar ins Jahr 1938, als der achtzehnjährige Oberprimaner einen länglichen Text über Hans Carossa verfasste.