Intime Bilder. Die Geschichte kunsthistorischer Radiographie
Das Projekt untersuchte die Geschichte und epistemische Bedeutung der Durchleuchtung von Kunstwerken mit Röntgenstrahlen. Dem Projekt lag die These zugrunde, dass die Einführung der radiologischen Untersuchung von Gemälden in den 1910er Jahren, und später auch von Skulpturen, einen Wandel in der kunsthistorischen Deutungspraxis auslöste: Konzentrierte sich das Erkenntnisinteresse zuvor auf die körperlose Bildoberfläche und ihre ikonographisch-ikonologische Bedeutung, lenkten die Röntgenstrahlen den kunsthistorischen Blick nun auch auf das Material, dessen physische Beschaffenheit und künstlerisch-manuelle Bearbeitung. Dieser Blick unter die Oberfläche ermöglichte neue Fragen an ein Kunstwerk, z.B. nach künstlerischen Vorlieben und Praktiken und deren Bedeutung. Damit schufen Röntgenbilder ein neues Wissen von Kunst und Künstlern.
Die Entstehung und Nutzung dieses neuen Wissens wurde in dem Forschungsprojekt aus dreifacher Perspektive untersucht:
- Die verhältnismäßig kurze Geschichte der kunsthistorischen Radiographie – also des Anfertigens von Röntgenbildern von Kunstwerken – und ihrer Entwicklung seit 1895 ist bisher nicht aufgearbeitet. Sie wurde im Projekt anhand von historischen und aktuellen Fachveröffentlichungen, Originalröntgenaufnahmen und Archivalien erstmals rekonstruiert. Besonderes Augenmerk lag dabei auf der medientechnischen und diskursiven Herstellung von Evidenz und von neuem Expertenwissen.
- Wie sich das neue Wissen von der Materialität der Kunstwerke in der kunsthistorischen Literatur niedergeschlagen und somit die Perspektiven des Faches verändert hat, wurde an zwei prominenten Fallbeispielen überprüft: Rembrandt van Rijn und Adriaen de Vries. Es wurde sowohl die vor als auch die nach dem Einsatz der Röntgenstrahlen entstandene Literatur zu beiden Künstlern analysiert, um die epistemischen Veränderungen in der kunsthistorischen Praxis herauszuarbeiten.
- Da kunsthistorische Röntgenaufnahmen Bilder von ästhetischen Objekten sind, wurde im Forschungsprojekt schließlich untersucht, welche Rolle ästhetische Überlegungen bei der Herstellung der Röntgenbilder spielen. Anders als medizinische Röntgenbilder, die immer nur einen Körperausschnitt zeigen, können Röntgenbilder z.B. von kleineren Skulpturen auch als eigenständige Bildschöpfungen angesehen werden. Zu ihrer indexikalischen kommt dann eine ikonische Qualität hinzu. Die spezifische Ästhetik der Radiographie – mit der in der Gegenwartskunst bereits gearbeitet wird – wurde bisher bildtheoretisch zu wenig reflektiert.
Die Röntgenbilder von Kunstwerken wurden in diesem Forschungsprojekt vor allem als wissenschaftliche Bilder verstanden, wodurch sich eine Möglichkeit zur fachlichen Selbstreflexion eröffnete: Denn während sich die Kunstgeschichte schon länger für die wissenschaftlichen Bilder anderer Disziplinen interessiert, sind die eigenen wissenschaftlichen Bilder bisher noch nicht in den Fokus der Untersuchung gelangt. Diesem Desiderat begegnete das Forschungsprojekt und leistete damit einen Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der Kunstgeschichte.
Die Forschungsergebnisse werden in einer illustrierten Monographie zur kunsthistorischen Radiographie veröffentlicht.
Publikationen
Uta Kornmeier
- »It was the hand that did it«. Frühe Röntgenbilder als Bildgebung mit offenem Ausgang [Rezension zu: Vera Dünkel: Röntgenblick und Schattenbild. Berlin 2016], in: Visual History (2018)
Veranstaltungen
Uta Kornmeier: Bild/Diagnosen. Überkreuzungen von Medizin und Geisteswissenschaften
Medizinische Universität Wien und Allgemeines Krankenhaus der Stadt Wien
Uta Kornmeier: Das Geheimnis der Bilder. Röntgendurchleuchtungen von Gemälden
Museum für Kommunikation, Leipziger Str. 16, 10117 Berlin
Medienecho
Radiogespräch mit Uta Kornmeier, in: rbb, Sendung: WissensWerte vom 12.02.2019
Radiogespräch mit Uta Kornmeier und Andreas Knaesche, in: RBB Kulturradio, Sendung: Kulturradio am Vormittag vom 17.08.2016, 09.10 Uhr