Ausschnitt eines gewebten Bucheinbands mit dem Porträt einer Figur in rot. Sie hat eingefallene Wangen, große Augen, eine herunterhängende Mütze und einen leicht geöffneten Mund.

Experimentierfeld Versepos (1918–1933)

»Mein Teil nun war immer die Prosa«, beginnt Thomas Mann den Gesang vom Kindchen (1919). Was folgt, ist seine erste und einzige Hexameter-Dichtung: »Gönne mir einmal, Muse, den heiter gemessenen Gang denn«. Ähnlich hätte auch Alfred Döblin seinen Manas (1927) oder Gerhart Hauptmann den Till Eulenspiegel (1928) einleiten können – im Oeuvre der meisten Dichter der Zwischenkriegszeit bildet das in Versform verfasste Epos die Ausnahme.

Noch im 19. Jahrhundert wurde eine lebendige Debatte um die Gattung geführt. Neben einer Vielzahl theoretischer Abhandlungen erschienen (National-)Epen, von denen viele, wie der Germanist Peter Sprengel bemerkte, »bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein Auflagenhöhen wie keiner der bedeutenden realistischen Romane« erreichten. Dieser Trend nahm in der Folgezeit merklich ab. Döblins und Hauptmanns Versepen waren für den S. Fischer Verlag Verlustgeschäfte. Dennoch verzeichnete die Literaturwissenschaft der Weimarer Republik eine Art »Wiedergeburt des Versepos« (so Martin Rockenbach 1929) und Robert Musil stellte anlässlich Döblins Manas fest: »[U]nser Roman hat das Epos so gründlich überwunden, daß sich an der Spitze der Entwicklung bereits wieder das Bedürfnis nach einer Gegenschwingung merken läßt, was durchaus nicht das gleiche ist wie eine Umkehr.«

Das Dissertationsprojekt spürte dieser ›Gegenschwingung‹ nach. Das Korpus konzentriert sich auf die Epen von Mann, Döblin und Hauptmann, die sowohl in der Forschung zum jeweiligen Oeuvre als auch in der Forschung zum Epos selbst bislang weitgehend unbeachtet geblieben sind. Mit der Untersuchung merklich heterogener Dichtungen, die in unterschiedlicher Weise auf Traditionen (homerisches Epos, Idylle, indische und religiöse Epik) und moderne Vorbilder zurückgreifen und die Erfahrung des Ersten Weltkriegs reflektieren, wird zugleich die Bandbreite an Experimenten im Feld des Versepos darstellbar.

 

Abb. oben: Einband von Gerhart Hauptmann: Till Eulenspiegel, EA Berlin 1928, Kopf des Narren nach einer Plastik des 15. Jhs. (Detail)

ZfL-Promotionsstipendium 2017–2019
Leitung: Clara Fischer