Israelische Gegenwartsliteratur in deutscher Sprache. Nationalliteratur oder Weltliteratur?
Das Projekt untersuchte deutsche Übersetzungen zeitgenössischer israelischer Prosa aus den letzten zwei Jahrzehnten sowie deren öffentliche und kritische Rezeption. Es versuchte zu ergründen, inwiefern die Auswahl der zu übersetzenden Werke in einem Zusammenhang mit deren Position im israelischen Literaturkanon stand, und fragte, ob ihre Rezeption in Deutschland ähnlich oder eher unabhängig von derjenigen in Israel ist. Dabei waren Fragen der Rezeption und Kanonbildung mit Fragen der Nationenbildung und des nationalen Imaginären verknüpft: Welche Attribute werden der Vorstellung von »Israelität« in den Übersetzungen (explizit oder implizit) zugeschrieben? Und wie wird das evozierte Bild wiederum in Deutschland rezipiert?
Diese Untersuchungen gingen aus der hitzigen Debatte um »Weltliteratur« als kulturelles Phänomen und als Disziplin im Bereich der Komparatistik hervor. Laut Kritiker*innen wie beispielsweise David Damrosch ist Weltliteratur jene Literatur, die über ihre Ausgangssprache und -nationalität hinausgeht, Grenzen und Begrenzungen transzendiert sowie ›universale‹ Anerkennung erfährt. Einige Wissenschaftler*innen haben das Konzept auf Grund der Unübersetzbarkeit von Texten aus verschiedenen Sprachtraditionen kritisiert oder gänzlich abgelehnt, während andere es auf eine Kritik am »linguistischen Imperialismus« und am globalen Englisch, oder auf die Ablehnung des »triumphalistischen Diskurses der Globalisierung« stützen.
Jüdische Literatur – die allgemein definiert werden könnte als die gesamte Literatur jüdischer Autor*innen, unabhängig von ihrer Nationalität – bietet sich als ein gutes Beispiel für das an, was Damrosch und andere als »Weltliteratur« bezeichnet haben, da sie das Nationale scheinbar transzendiert und weithin in verschiedene Sprachen übersetzt ist. Gleichzeitig ist ein Großteil der zeitgenössischen jüdischen Literatur in israelischem Hebräisch geschrieben, welches die Nationalsprache der israelischen Juden* ist. Hebräische Literatur wurde allerdings explizit als Nationalliteratur konzipiert und sogar als essentiell für die Konsolidierung der israelischen Nation betrachtet. So oszilliert die israelische Literatur, die im Mittelpunkt des Projekts stand, stetig zwischen National- und Weltliteratur und offenbart dabei die Spannungen zwischen den beiden Konzepten.