Der Umbau hinter der Restauration. Eine Medienarchäologie der Nachkriegszeit
Das Projekt machte es sich zur Aufgabe, die Jahre 1945–1960 in Deutschland aus einer medienästhetischen und einer kulturkomparatistischen Doppelperspektive zu untersuchen. In drei Projektteilen gingen die BearbeiterInnen der Frage nach, ob sich hinter den immer noch dominierenden Negativdiagnosen namentlich der ›restaurativen 50er Jahre‹ ein Netzwerk miteinander konkurrierender Medienkulturen verbirgt, das freizulegen ›archäologischer‹ Spurensuche bedarf. Forschungsleitend war die Beobachtung, dass ein bisher unerkannter Widerspruch zwischen der fehlenden Wahrnehmung der Zeitgenossen für die Medialität der eigenen Praxis einerseits und der Blindheit der ab 1960 boomenden Medientheorien für die Nachkriegskulturen andererseits besteht.
Mediengeschichtlich betrachtet, waren die 1950er Jahre jene Jahre, in denen die ›traditionellen‹ Leitmedien der sogenannten Massenkultur – Hörfunk, Kinofilm und Presse – Hochkonjunktur hatten, bevor mit den 1960er Jahren weltweit das Zeitalter der elektronischen Medien begann. Kulturgeschichtlich gesehen, bestand im Nachkriegsdeutschland eine einmalige Konstellation durch die Kopräsenz der vier alliierten Siegermächte mit ihren unterschiedlichen Leitkulturen, Mentalitäten, Erfahrungen und Traditionen. Weit differenzierter, als dies mittels der Ost-West-Konfrontationslogik zu erfassen wäre, wurde ein Schauplatz freigelegt, auf dem verschiedene Medienkulturen sich überkreuzten, miteinander konkurrierten, auf alle Fälle jedoch: interagierten. Die so entstandene deutsche Nachkriegskultur ist aus dieser Sicht gleichermaßen Produkt eines transkulturellen cross over wie Resultat der mixed media auf dem Stand der technischen Aufnahme- und Wiedergabeverfahren dieser Zeit.
Die drei Projektteile bestanden aus:
- Zeit-Schriften. Das Jahrzehnt der Illustrierten (Inge Münz-Koenen)
- Hörfunk und Hörspiel 1945–1960 (Justus Fetscher)
- Lesbarkeit des Körpers im Film (Oksana Bulgakowa)
Die kulturgeschichtlichen Zuständigkeiten verteilen sich auf Germanistik (I. Münz-Koenen), Komparatistk (J. Fetscher) und Slavistik (O. Bulgakowa).
Die deutsche Nachkriegszeit wird zu einem medienästhetischen Gegenstand unter der Voraussetzung, dass die auditiven, visuellen und audiovisuellen Darstellungsformen als mediengenerierte verstanden werden. Hörspiele, Bildzeitschriften und Kinofilme erzeugen aus dieser Sicht Wahrnehmungsdispositive, die eine spezifische, technisch präformierte Organisation der Sinne bewirken. Mit diesem Medienbegriff unterschied sich das Projekt von Herangehensweisen, die unter ›Medium‹ ein bedeutungsneutrales Transportmittel für Ideen, Botschaften, Texte oder Informationen verstehen. Um die eingangs genannte Doppelperspektive zum Tragen zu bringen, arbeiteten die ProjektmitarbeiterInnen mit einem Kulturbegriff, der auf die Untersuchung der Alltagskultur(en) gerichtet war. Auch dieser widerspricht der Selbstwahrnehmung dieser Zeit, die ganz dem ›high culture-Modell‹ verpflichtet blieb. Unter der Allgegenwart der Medien bildeten sich dagegen Mikrokulturen aus (z.B. Jugend-, Freizeit- und Musikkulturen), die ohne präformierte Bilder und Töne nicht denkbar wären, aber nicht einfach entgegengenommen, sondern tagtäglich praktiziert wurden und mit charakteristischen images und sounds (z.B. der ›fünfziger Jahre‹) den Lebenstil ganzer Generationen prägten. Die Analysen in den drei Projektteilen konzentrierten sich auf Inszenierungen von Massenwirksamkeit als Inszenierungen apparategestützten Sehens und Hörens. Im Zentrum stand die mediale Organisation der Sinne durch die auf das Un- und Vorbewusste wirkenden Steuerungs- und Interaktionsimpulse. Zusammengenommen markieren solche Veränderungen einen Umbruch im kollektiven Wahrnehmungsvermögen, das sich von der Dominanz der Lesekultur (der ›Gutenberg-Galaxis‹) und deren logozentrischer Epistemologie löst, ohne bereits im Zeitalter der elektronischen und digitalen Medien angekommen zu sein.