Die Stimme im Ausnahmezustand
Programm
(letztes Update: 14.10.2014)
Donnerstag, 13.11.2014
14.00–14.30
- Annemie Vanackere (Intendantin, HAU Berlin): Grußwort
- Sigrid Weigel (Direktorin des ZfL): Einführung
I. Gesang und Geräusch
Moderation: Daniel Weidner
14.30–15.15
- Doris Kolesch (Theaterwissenschaften, FU Berlin): Stimmexzesse
15.45–17.15
- Sigrid Nieberle (Germanistik, Erlangen-Nürnberg): Geräusch im Belcanto
- Sigrid Weigel (ZfL): Die Stimme der Klage
19.30–20.30
- Frauke Aulbert (Stimmkünstlerin, Hamburg): Vocal acrobatics
21.00
- Disposable me – ein Werk für elf Dispositionen
Komposition: Georg Hajdu (Hochschule für Musik und Theater Hamburg) Stimme: Gunnar Brandt-Sigurdsson (Hamburg)
Freitag, 14.11.2014
II. Stimmkörper und körperlose Stimmen
Moderation: Christine Kutschbach
10.30–12.00
- Stefan Willer (ZfL): Stimm-Brüche. Vokale Mutation als Regel und Ausnahme
- Susanne Fuchs (Sprachwissenschaften, ZAS Berlin): Atmung, Stimme und Dialog. Aus dem Labor der Sprachwissenschaft
Moderation: Stefan Willer
14.00–15.30
- André Aleman (Cognitive Neuropsychiatry, Universität Groningen): Hallucinations. Hearing Voices in the Brain
- Daniel Weidner (ZfL): »Give ye ear, and hear my voice.« Speaking, Shouting, and Crying in the Prophetic Tradition
16.00–16.45
- Christian Grüny (Musikphilosophie, Witten-Herdecke): Schrei und invertierte Stimme. Musik und Folter
19.30–20.30
- Yuval Sharon (Regisseur, Gründer und Künstlerische Leitung »The Industry«, ein Ensemble für zeitgenössische und experimentelle Oper in Los Angeles): The Disembodied Voice. Lecture on »Invisible Cities. An Invisible Opera for Wireless Headphones«
21.00
- »untitled_18 (2014)«, Uraufführung für Stimme, Live-Elektronik und Video
Komposition: Daniel Dominguez Teruel (Hamburg), Stimme: Gunnar Brandt-Sigurdsson (Hamburg)
Samstag, 15.11.2014
III. Medialisierte und technische Stimmen
Moderation: Caroline Sauter
11.30–13.00
- Birgit Griesecke (ZfL): Die Stimme im Kontrapunkt. Glenn Goulds Dokumentarhörspiele
- Britta Lange (Institut für Kulturwissenschaft, HU Berlin): Am Abgrund. Stimmen von Internierten, 1939–1942
15.00–15.45
- Sabine Nessel (Institut für Film-, Theater- und empirische Kulturwissenschaft, Universität Mainz): Mediale Tiere mit und ohne Mikrofon
Moderation: Georg Toepfer
16.15–17.45
- Eduardo Mendel (Physik, Oldenburg): »Meine eigene Stimme«: Developing personalized text-to-speech programs
- David M. Howard (Dept. of Electronics, University of York, UK): A new performance instrument. The Vocal Tract Organ
20.00
- Kompositionen von Michel van der Aa (Komponist, Niederlande): 1. »And how are we today«, vocal work for mezzo-soprano, piano and double bass; 2. »Miles away«, vocal work for mezzo-soprano, violin, piano and double bass
Mit: Susanne Kreusch (Mezzo-Sopran), Elissa Lee (Violine), Byron Knutson (Klavier), Arnulf Ballhorn (Bass) - Präsentation von Ausschnitten aus den Videos »One« und »Sunken garden«, vorgestellt durch Michel van der Aa, anschließend Michel van der Aa im Gespräch mit Sigrid Weigel
Im Foyer (an allen 3 Tagen, Do bis Sa): Künstlerisch-wissenschaftliches Programm
(Video-/Audiostelen mit Kopfhörern)
- Gunnar Brandt-Sigurdsson mit einer Komposition von Georges Aperghis: »Recitations No.8/ Laryngoskopie« (Video)
- Daniel Dominguez Teruel »untitled_7« (Video)
- Sigrid Sigurdsson (Konzept 1964)/ Gunnar Brandt-Sigurdsson (Umsetzung 2014): »Redepausen im Auschwitzprozess« (Hörstück)
mit Dank für freundliche Unterstützung durch Werner Renz – Fritz Bauer Institut Frankfurt a.M. - Jörg Dreyer: Laryngograph (gesonderte Vorführtermine)
Der Eintritt zu den Vorträgen und Präsentationen im Foyer ist tagsüber frei. Abends gelten die Eintrittspreise des HAU.
Am Anfang war weder Bild noch Schrift, am Anfang war die Stimme. Auch die irdische Existenz des Einzelnen beginnt mit einem Schrei, und sie endet mit dem letzten Atemhauch, dem gleichzeitigen Verlöschen von Leben und Sprechen. In der Stimme ist der Mensch Kreatur und psycho-soziales Wesen zugleich. Als Medium von Ausdruck und Kommunikation sorgt die Stimme für jenes Zusammenspiel von Physis und Logos, das eine sinnvolle, verständliche Rede hervorbringt.
Dabei ist die Synchronie von Laut- und Bedeutungsproduktion nicht die Regel. Zu vielfältig sind die Nuancen und die beteiligten Momente: Lautstärke und Höhe, Geschwindigkeit, Atmen und Stockungen, dialektale und individuelle Färbung. Zu vielfältig ist auch das Spektrum von Artikulationen, das die Stimme erlaubt: zwischen Flüstern und Schreien, zwischen Summen und Pfeifen, Dozieren und Trösten, Gesang und Befehl. In unserer hochtechnologisierten Gesellschaft wird die menschliche Stimme außerdem mehr und mehr apparativ ergänzt oder ersetzt, aufgezeichnet, verstärkt und modifiziert. Computer und Roboter simulieren menschliche Stimmen, und Medizin und Biotechnologie arbeiten an Stimmprothesen.
Sind Störungen, Grenzfälle und extreme Ausdrucksformen der Stimme vielleicht zahl- und folgenreicher als ihr Normalzustand? Was bedeutet das dann für die ›Normalität‹ der Stimme? Das dreitägige Themenfestival geht diesen Fragen nach und verbindet dabei wissenschaftliche und künstlerische Recherchen. Lebens- und Technikwissenschaftler berichten von der empirisch-experimentellen Stimmforschung: zwischen Stimmenhören und Stimmwiedergabe, zwischen Physiologie und Robotik. Geistes- und Kulturwissenschaftler erkunden die historischen und kulturellen Voraussetzungen, unter denen sowohl die Natürlichkeit der Stimme als auch ihre technischen Bearbeitungen konzipiert werden. Komponisten und Vokalperformer erkunden Ausnahmezustände der Stimme, indem sie mit dem Auseinandertreten von Lautlichkeit und Bedeutung experimentieren und die Stimme ins physische Extrem treiben.
in Kooperation mit demHebbel am Ufer (HAU1)