Workshop
07.05.2003 · 15.00 Uhr

Gnosis und Literaturforschung

Ort: ZfL, Jägerstr. 10/11, 10117 Berlin, Raum 06
Organisiert von Christoph Markschies (Heidelberg)

Programm

Gnosis, im griechischen Lexikon ein Begriff für "Wissen", ist eine antike religiöse Erlösungsbewegung, aber auch ein Sammelbegriff für mythopoetische Geschichtstheologien. Religionsgeschichtlich betrachtet, erscheint sie als bricolage persischer, jüdischer, christlicher und paganer Traditionen unter neuen Verhältnissen, als ein Produkt des "Laboratoriums" (Chr. Markschies) der Theologien der ersten nachchristlichen Jahrhunderte. Wie diese als ein "Zeitalter der Angst" (E.R.Dodds) gelten, so wird die Gnosis oft als eine Gegengeschichte zu den großen Figuren und Systemen Europas aufgefaßt. Ihre Vertreterinnen und Vertreter hätten Positionen der selbstermächtigenden Erkenntnis, der Gleichheit zwischen den Geschlechtern, der Techniken zur Weitergabe esoterischen Wissens hervorgebracht. Verfolgt und zertreten, aber nur äußerlich ohnmächtig und unbesiegt seien sie inmitten des römischen Imperiums zum Widerstand gegen "den Herren und die Mächte der Welt" befähigt gewesen, unberührt von rauschhafter Verausgabung in Kollektivekstasen.

Auch aufgrund dieses Narrativs erschien die Gnosis im letzten Jahrhundert in großer Nähe zu avancierten Positionen sowohl der Kulturwissenschaften als auch der Künste. Erstaunen läßt, dass dies in Absehung üblicher wissenschaftlicher, religiöser und politischer Grenzen geschah. Adolf von Harnack, der mit Ausnahme von Propheten und Psalmen das Alte Testament aus dem christlichen Kanon ausgeschieden wissen wollte, näherte sich mit seinem Vorhaben demjenigen Marcions, eines Theologen des 2. Jh. und nachmaligen Häretikers. Hans Jonas führte seine Analyse gnostischen Geistes mit einem Vokabular durch, das er der Philosophie Martin Heideggers entlehnte. Simone Weil wollte ihren politischen und intellektuellen Kampf gegen "das große Tier" gerichtet sehen. In der russischen Religionsphilosophie um 1900 galt Gnosis als Kampfbegriff sowohl gegen die Orthodoxie als auch gegen den (westlichen) Materialismus. Den gelegten Spuren wird in den Montagssitzungen des FSP I in diesem Sommer nachgegangen.

Begonnen wird aber mit einem öffentlichen Workshop, zu dem alle Interessierten herzlich eingeladen sind. An ihm nimmt auch Christoph Markschies teil, Professor für Historische Theologie in Heidelberg. Diskutiert werden soll das von ihm erstellte Porträt der Gnosis (u.a. in: Die Gnosis. München: Beck 2001) anhand ausgewählter gnostischer Texte in Übersetzung und der mögliche Gehalt der Beschäftigung mit der Gnosis für die Literaturforschung. Ein Reader mit gnostischen Texten, einem Lexikonartikel von Chr. Markschies zur Gnosis und einem Aufsatz von Harald Bloom zu Gnosis und Literaturforschung steht ab 28. April zur Verfügung.