Hybridität und Pfropfung als Kulturmodelle
Programm
Seit einigen Jahren hat der Begriff der 'Hybridisierung' Hochkonjunktur.
Mit ihm werden im Kontext von Literatur-, Medien- und Kulturtheorien
(insbesondere der Postcolonial Studies) Dynamiken der
Absorption und der Integration, der Verschmelzung und 'Kreuzung'
heterogener Sprech-, Denk- und Handlungsweisen zu neuen Konfigurationen
beschrieben.
War Hybridität im 19. Jahrhundert noch ein prekärer –
letztlich rassistisch konnotierter – Begriff für die Vermischung
unterschiedlicher Ethnien, so ist er mittlerweile zu einer Art Leitmotto
eines globalisierten, kosmopolitischen crossing of cultures geworden.
Im
Vortrag wird diese pauschale Verwendung des Hybriditätsbegriffs
kritisch hinterfragt: Sind die Phänomene, die in den
Kulturwissenschaften – von Homi Bhabha bis Bruno Latour – als hybrid
bezeichnet werden, tatsächlich als Vermischungen respektive als crossing zu beschreiben? Welche Alternativen gäbe es zu einer pauschalen Verwendung des Hybriditätsbegriffs?
Hier
wird versuchsweise das Modell der Aufpfropfung ins Spiel gebracht, das
nicht nur als gärtnerisch-botanische, sondern auch als symbolische
Kulturtechnik Eingang in die kulturwissenschaftliche Theoriebildung
gefunden hat. So schreibt Derrida in La Dissemination:
"Schreiben heißt pfropfen, es ist dasselbe Wort" – insbesondere das
Einschreiben in andere Signifikantenketten erscheint hierbei als greffe citationelle.
Während
die Hybridisierung primär als 'Verschmelzungsfigur' in Dienst genommen
wird, erscheint die Aufpfropfung – etwa im Kontext von Derridas
Schriftkonzept oder von Genettes Intertextualitätsmodell – als Figur für
parasitäre Abhängigkeitsverhältnisse, bei denen jedoch, anders als bei
der Hybridisierung, die Differenzqualität der zusammengefügten Elemente
erhalten bleibt.
Dies wird anhand einiger Fallbeispiel untersucht, in
denen Hybridisierung und Pfropfung als komplementäre Wissens-Figuren in
Dienst genommen wurden und werden, um mediale, kulturelle, poetische
und epistemische Verhältnisse zu beschreiben.
Uwe Wirth
ist Professor für neuere deutsche Literatur und Kulturwissenschaft am
Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen.
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