Kulturelle Faktoren der Vererbung II: Formen
Programm
Die biowissenschaftliche Forschung hat unter dem Stichwort der Epigenetik begonnen, sich nichtgenetischen, gleichwohl stabilen und wiederholten Übertragungsprozessen entlang ethologischer, psychologischer, ökologischer und im weiteren Sinne soziokultureller Linien zu öffnen. Die Workshop-Reihe zu den »Kulturellen Faktoren der Vererbung« untersucht die hieraus resultierenden Grenzverschiebungen zwischen Biologischem und Kulturellem sowie damit verbundene epistemologische und methodische, aber auch ethische und handlungspraktische Herausforderungen. Nach einem ersten Workshop zu den Feldern epigenetischer Forschung besichtigt dieser zweite Workshop nun die Formen, mit denen Wechselwirkungen zwischen Biologischem und Kulturellem in epigenetischer Forschung gefasst werden. In den Blick genommen werden Prozesse, Wege und Bedingungen der Übertragung und des Einschreibens von Kultur in Biologie und von Biologie in Kultur sowie deren Weitergabe über Generationen hinweg. Entlang der Stichworte Gedächtnis, Milieu/Transmission, Bildung, Prägung/Entwicklung und Mutation werden verschiedene Modelle und Metaphern exemplarisch in den Blick genommen. Nicht nur stehen sie für unterschiedliche Varianten eines Wechselspiels von kultureller und biologischer Übertragung. Indem sie selbst zwischen den Disziplinen stehen, können an ihnen auch mögliche Verschiebungen im Verhältnis etwa zwischen Biologie und Kulturwissenschaft, Genetik und Philosophie, Neurologie und Psychologie, Medizin und Literatur, wie sie durch die epigenetische Forschung angezeigt sind, nachgezeichnet werden. Schließlich markieren Sie die Arten und Weisen, wie das epigenetische Wissen in Normen, Werte und Alltagspraktiken einfließt und somit in Kultur übertragen wird. Die Frage drängt sich auf, ob Epigenetik nicht selbst zum kulturellen Faktor wird.
(Stand: 06.03.2012)
Dienstag, 13.03.2012
10.00
Vanessa Lux/Jörg Thomas Richter (ZfL): Begrüßung und Einführung
Gedächtnis
10.30–12.30
Isabelle Mansuy (Zürich): Epigenetic regulation of complex brain functions and their pathologies
Ohad Parnes (Tel Aviv/ZfL): Zwischen Gedächtniszellen und »immune priming«. Formen der Erinnerung im Immunsystem
Milieu und Transmission
14.30–16.30
Karola Stotz (Sydney): Die Konstruktion der Entwicklungsnische. Selektionsnische und Integrationsrahmen verschiedener Vererbungssysteme
Georg Toepfer (ZfL): Die Einheit des Organismus, seine Spaltung in Genotyp und Phänotyp durch die Genetik und seine Resynthese in der Epigenetik
Bildung
17.00–18.00
Anne-Julia Zwierlein (Regensburg): (Körper-)Bildung. Gesellschaftsform und Übertragung erworbener Eigenschaften im literarischen und kulturellen Diskurs, ca. 1860 bis ca. 1890
19.30
Lesung mit Judith Schalansky (Berlin): »Der Hals der Giraffe« (Bildungsroman)
Mittwoch, 14.03.2012
Prägung und Entwicklung I
9.30–11.30
Horst Kreß (FU Berlin): Epigenetische Mechanismen embryonaler Induktion und soziale Prägungsprozesse. Versuch einer historischen und konzeptionellen Betrachtung
Barbara Tzschentke (HU Berlin): Prägung physiologischer Regelsysteme. Wie die perinatale Umwelt Weichen stellt
Prägung und Entwicklung II
12.00–13.00
Vanessa Lux (ZfL): »Principles«, »landscapes« und »trees«. Epigenetische Modelle in der Entwicklungspsychologie
Mutation
14.00–16.00
Maria Kronfeldner (Bielefeld): Die sogenannte »blinde« Variation
Jörg Thomas Richter (ZfL): Übersprünge. Zur Mutation und ihren Präfixen in der Epigenetik
16.30
Abschlussdebatte
Formen, Modelle, Metaphern epigenetischer Forschung
Staffan Müller-Wille (Exeter/MPIWG Berlin): Kommentar
Siehe auch:
Kulturelle Faktoren der Vererbung I: Felder
Kulturelle Faktoren der Vererbung III: Verfahren
Abb. oben: Damien Hirst - Happy (2008) [flickr-posting von Playing Futures]