Politische Narrative und Inszenierungen in aktueller russischer Literatur
Programm
Nach dem regelrechten ‚Bürgerkrieg der Literaten’ der Perestrojka-Zeit machte sich in der russischen Literatur in den ersten Jahren des neuen Millenniums ein neuerlicher Politisierungs-Schub unter den veränderten Bedingungen eines ‚wieder erstarkten Staates’ bemerkbar. Tatsächlich nimmt die Beschäftigung mit dem Thema der politischen Macht in der russischen Literatur einen breiten Raum ein. Insbesondere die Frage, wohin die neuen, schwer einschätzbaren Formen der Machtausübung führen werden, wird in literarischen Texten diskutiert, wie der Boom antiutopischen Schreibens in den letzten Jahren belegt. Aber gerade auch die westliche Öffentlichkeit ist in besonderem Maße an diesem Teil der russischen Literaturproduktion interessiert und nimmt russische Kultur durch die ‚Brille der Politik’ wahr. Diese Brille jedoch ist nicht unvoreingenommen. Nicht nur hört man in Russland häufig die Klage, dass die unpolitische Kulturproduktion gar nicht mehr wahrgenommen wird, gerade auch die in unserem Workshop im Mittelpunkt stehende, mit Politik beschäftigte oder politisch engagierte Literatur wird im Westen – vielleicht oft genug zu Recht – nur selektiv veröffentlicht und besprochen. Auch wird zu selten genau rekonstruiert, was ‚Politisierung’ von Literatur bedeutet, an welchen Stellen ‚politische Effekte’ in den komplexen sozialen Prozessen der Produktion und Rezeption von Literatur entstehen, oder wie gar politische und apolitische Lesarten auf verschiedenen ‚Kanälen’ nebeneinander existieren und konkurrieren können. Der Workshop möchte auf diese literatur- und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen mit Schlaglichtern auf einzelne Texte aktueller russischer Literatur antworten.
‚Das Politische’ ist auch narrativ verfasst. Satirische Erzählungen, anti-/utopische Zukunftsentwürfe, Erzählungen von nationaler Wiedergeburt und weltumspannender Verschwörung und Apokalypse wechseln meist noch müheloser zwischen den Feldern der Literatur, der Philosophie und Wissenschaften und der Politik, als ihre Produzenten es vermögen. Zudem ist jedoch gerade für die gegenwärtige russische Literaturszene kennzeichnend, dass Autoren literarische und politische Betätigungsfelder in ästhetischpolitischen Projekten zu vereinbaren und zu transgredieren versuchen. Literarische Helden oder Textinstanzen (Erzähler, lyrisches Ich) dienen dann dem Entwurf von politischer Subjektivität oder gar der Selbstbespiegelung des Autors in seiner ideologischen und politischen Praxis. Die komplexen Medienkonstellationen (Printmedien, Internet, Fernsehen), in denen sich solche Inszenierungen realisieren, sollen dabei gleichfalls in den Blick geraten.
PROGRAMM (Stand: 25.05.2009)
9.30-9.45
Matthias Meindl (Zfl) und Sylvia Sasse (HU Berlin): Begrüßung und Eingangsbemerkungen
9.45-11.15
Olga Matich (Berkeley): Eduard Limonov: Man with a Typewriter, Sewing Machine and Machine Gun
Moderation: Matthias Schwartz
11.45-13.00
Matthias Meindl (ZfL): Der ‚nichtjüdische Jude’: Meta-/politische Funktionalisierung apokalyptischer Motive und ‚neuer Internationalismus’ bei Kirill Medvedev
Moderation: Sylvia Sasse
14.30-16.00
Nina Weller (FU Berlin): Putins Matrix: Die Mystifizierung und Banalisierung des Politischen in aktueller russischer Literatur
Matthias Schwartz (FU Berlin): Medvedevs Metro: Die Subversion machtpolitischer Diskurse und intellektueller Dissidenz in Dmitrij Gluchovskijs Roman Metro 2033
Moderation: Anne Krier
16.30-17.45
Anne Krier (HU Berlin): Zuckerkreml und Körperstrafen: Jubel, Essen und Gewalt in Vladimir Sorokins Neuem Russland
Moderation: Nina Weller
17.45-18.30
Abschlussdiskussion