Sexualität und Medien 1903. Wie ein Fall von sadistischem Flagellantismus in die Sexualwissenschaften geriet
Programm
Medien haben seit ihren Anfängen Vorstellungen und Bewertungen der
Sexualität und der Sexualpathologie mitbestimmt. Normalität, Perversion,
Kriminalität – was drunter zu verstehen sei, wird in der Moderne im
öffentlichen Raum verhandelt. Selbstverständlich haben
Sexualwissenschaften, Psychiatrie und die biomedizinischen
Wissenschaften gewichtige Anteile an der Definitionsmacht von
Sexualität, doch darüber wird leicht übersehen, dass diese
Wissenschaften selbst durch die Medien kontaminiert sind. Diese These
wird am Beispiel eines Aufsehen erregenden Kriminalfalls aus dem Jahre
1903 illustriert. Ein Hauslehrer misshandelte das Kind einer
hochstehenden Persönlichkeit zu Tode, und erst durch die in der Presse
des deutschen Kaiserreichs kolportierte Geschichte konnte dieser Fall
zum Modell für den später in Psychiatrie und Sexualwissenschaften
kanonisierten "sexuellen Flagellantismus" werden.
Zur Person
Professur
für Wissenschaftsforschung an der ETH Zürich (seit 2003) – Studium der
Medizin und Philosophie an der Freien Universität Berlin. Nach der
Promotion zum Dr. med. Postdoc am Neurophysiologischen Institut der FU.
Nach Stationen in London und Lübeck erfolgte die Habilitation 1994 an
der Medizinischen Fakultät Göttingen. Von 1997 bis 2003 Senior Scientist
am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. 2000 wurde er mit
dem Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
ausgezeichnet. Gastprofessuren in Salzburg, Tel Aviv und Frankfurt am
Main.
Michael Hagner ist im September/Oktober 2006 Gastwissenschaftler am ZfL.
Publikationen (Auswahl)
Geniale Gehirne. Die Geschichte der Elitegehirnforschung (Göttingen 2004); Homo cerebralis. Der Wandel vom Seelenorgan zum Gehirn (Darmstadt 1997); Zur Geschichte und Vorgeschichte der Neuropsychologie (Berlin 1996). Herausgeber von Einstein on the Beach. Der Physiker als Phänomen (Frankfurt 2005); Ansichten der Wissenschaftsgeschichte (Frankfurt/M. 2001); Ecce Cortex. Beiträge zur Geschichte des modernen Gehirns (Göttingen, 1999).