Vortrag
10.10.2006 · 22.00 Uhr

Sexualität und Medien 1903. Wie ein Fall von sadistischem Flagellantismus in die Sexualwissenschaften geriet

Ort: ZfL, R. 06
Organisiert von Michael Hagner

Programm

Medien haben seit ihren Anfängen Vorstellungen und Bewertungen der Sexualität und der Sexualpathologie mitbestimmt. Normalität, Perversion, Kriminalität – was drunter zu verstehen sei, wird in der Moderne im öffentlichen Raum verhandelt. Selbstverständlich haben Sexualwissenschaften, Psychiatrie und die biomedizinischen Wissenschaften gewichtige Anteile an der Definitionsmacht von Sexualität, doch darüber wird leicht übersehen, dass diese Wissenschaften selbst durch die Medien kontaminiert sind. Diese These wird am Beispiel eines Aufsehen erregenden Kriminalfalls aus dem Jahre 1903 illustriert. Ein Hauslehrer misshandelte das Kind einer hochstehenden Persönlichkeit zu Tode, und erst durch die in der Presse des deutschen Kaiserreichs kolportierte Geschichte konnte dieser Fall zum Modell für den später in Psychiatrie und Sexualwissenschaften kanonisierten "sexuellen Flagellantismus" werden.

Zur Person
Professur für Wissenschaftsforschung an der ETH Zürich (seit 2003) – Studium der Medizin und Philosophie an der Freien Universität Berlin. Nach der Promotion zum Dr. med. Postdoc am Neurophysiologischen Institut der FU. Nach Stationen in London und Lübeck erfolgte die Habilitation 1994 an der Medizinischen Fakultät Göttingen. Von 1997 bis 2003 Senior Scientist am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. 2000 wurde er mit dem Preis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet. Gastprofessuren in Salzburg, Tel Aviv und Frankfurt am Main.
Michael Hagner ist im September/Oktober 2006 Gastwissenschaftler am ZfL.

Publikationen (Auswahl)
Geniale Gehirne. Die Geschichte der Elitegehirnforschung (Göttingen 2004); Homo cerebralis. Der Wandel vom Seelenorgan zum Gehirn (Darmstadt 1997); Zur Geschichte und Vorgeschichte der Neuropsychologie (Berlin 1996). Herausgeber von Einstein on the Beach. Der Physiker als Phänomen (Frankfurt 2005); Ansichten der Wissenschaftsgeschichte (Frankfurt/M. 2001); Ecce Cortex. Beiträge zur Geschichte des modernen Gehirns (Göttingen, 1999).