Vortrag
19.06.2018 · 18.30 Uhr

Sigrid Weigel: In der Maske des Paulus. Jacob Taubes liest Walter Benjamin

Ort: Denkerei, Oranienplatz 2, 10999 Berlin

Vortrag in der Reihe Die Wirkung des Sakralen im Säkularen in der Denkerei in Berlin.

Der Vortrag setzt sich damit auseinander, wie der Religionssoziologe, Philosoph und Judaist Jacob Taubes (1923–1987) Zitate aus Walter Benjamins (1892–1940) Schriften in seinen intellektuellen Kosmos aufgenommen hat.

Wie eine heiße Spur ziehen sich solche Zitate ab Anfang der 1960er Jahre durch die Vorträge, Briefe, Seminare und Veröffentlichungen von Jacob Taubes. Doch welcher Benjamin ist es, dessen Sätze seit dieser Zeit wie Funken in Taubes' intellektuellem Kosmos auftauchen? Der Vortrag verfolgt zwei Hauptlinien von Jacob Taubes' Benjamin-Lektüre. In der ersten Linie, die entlang der »Noten zum Surrealismus« (1963), des Aufsatzes »Kultur und Ideologie« (1969), der Aufzeichnungen zum Seminar über die Thesen zum Begriff der Geschichte aus dem Wintersemester 1984/85 bis zum Aufsatz »Walter Benjamin – ein moderner Marcionit?« (1986) verläuft, tritt Benjamin als Gewährsmann einer geschichtsphilosophischen Betrachtung von Fragen auf den Plan, die ansonsten meist als ästhetische firmieren. Danach macht Taubes' Benjamin mehrere Metamorphosen durch, tritt einmal in der Maske des modernsten theologischen Marxismus auf, dann als Theoretiker des Messianismus, als Autor politischer Theologie und schließlich als Marcionit der Moderne, der wie der Marcionismus des zweiten Jahrhunderts den göttlichen Charakter der hebräischen Bibel bestreitet.

Die zweite Linie des Vortrags setzt knapp ein Jahrzehnt später ein und verläuft entlang einer Engführung mit dem politischen Philosophen und Staatsrechtler Carl Schmitt (1888–1985), in der die beiden Autoren wie die Pole einer gleichsam elektrisch geladenen Denkspur erscheinen. Sie mündet in Taubes' Paulus-Vorlesungen aus dem Jahr 1987, in denen Benjamin als Exeget des Römerbriefs auftritt. Die letzte Maske, die ihm Taubes aufgesetzt hat, ist demnach die des Apostels Paulus.

Sigrid Weigel ist die ehemalige Direktorin des ZfL, em. Professorin der Technischen Universität Berlin und Leiterin der Forschungsprojekte Ikonische Präsenz. Bilder in den Religionen, Epistemische Rückseite instrumenteller Bilder, Neuro-Psychoanalyse und Susan Taubes-Edition.