ZwischenRäume 11
30 Jun 2006 · 12.00 pm

Luftschlösser. Hirngespinste, Visionen und Fiktionen in den Naturwissenschaften

Venue: Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Boltzmannstraße 22, 14195 Berlin, Raum 265 – Seminarraum Abteilung III
Organized by Uwe Wirth, Ana Ofak, Philipp von Hilgers/Christina Wessely, Jutta Müler-Tamm
Contact: cwessely [@] mpiwg-berlin.mpg.de
Research project(s): ZwischenRäume

Program

Der Name Zwischenräume steht für halbjährliche Kooperationstreffen, die seit Februar 2001 zwischen dem Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik an der Humboldt- Universität zu Berlin, dem Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin, und dem Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin abgehalten wurden und die nun unter Beteiligung des Instituts für Deutsche und Niederländische Philologie der Freien Universität Berlin fortgesetzt werden. Ziel dieser Treffen ist es, den Austausch zwischen den vier Einrichtungen sowohl auf inhaltlicher als auch auf personeller Ebene zu intensivieren.
Die Veranstaltung Luftschlösser – Hirngespinste, Visionen und Fiktionen in den Naturwissenschaften versteht sich als erster Teil einer Reihe mit dem Titel Wissenschaftsfiktionen. Methoden – Figuren – Projekte, die jeweils unterschiedliche Perspektiven auf die vielfältigen, häufig unklaren und umstrittenen Verbindungen von Wissenschaft und Fiktion entwickelt.


Absurde Ideen, verrückte Hypothesen und `pseudowissenschaftliche´ Theorien werden traditionellerweise – sofern sie überhaupt Beachtung erfahren – als das Andere der Wissenschaften und ihrer Geschichte markiert, ihre Autoren und Verfechter als randständige Figuren verzeichnet, die sich bestenfalls an den äußersten Grenzen des modernen wissenschaftlichen Diskurses bewegen. Im Gegensatz dazu soll anhand der exemplarischen Verhandlung einiger dieser fantastischen Projekte davon ausgegangen werden, dass diese weniger als nachgemachtes, (gescheitertes) `Als Ob´ auf ein außerhalb liegendes Echtes, Richtiges verweisen, sondern vielmehr genuine, originelle Gegenpositionen zu den zeitgenössischen Naturwissenschaften darstellten, die nicht zuletzt aufgrund ihrer oftmals großen Popularität ihre historiographische Marginalisierung in Frage stellen. Der Blick soll daher sowohl auf die historischen Entstehungsbedingungen und Attraktionskulturen dieser `Wissenschaftsfiktionen´ gerichtet werden, als auch auf die erkenntnistheoretischen Positionen, die – in Ablehnung oder Aneignung naturwissenschaftlicher Theorie und Methodik – von deren Autoren und Verfechtern eingenommen wurden.


Programm
10.00-10.30 Begrüßung: Julia Kursell

10.30-11.30 Yvonne Wübben/Freie Universität Berlin, Zentrum für Literatur- und Kulturforschung:
Am Beispiel Gespenster: Hypothesen, Fiktionen und Wissensmodelle im Berliner Monadenstreit
Moderation: Julia Kursell

11.30-11.45 Kaffeepause

11.45-12.45 Johanna Bohley/Freie Universität Berlin:
`Klopfgeisterei´ als Wissenschaft? Zur wissenschaftlichen Legitimierung des Spiritismus um 1850
Moderation: Katrin Solhdju

12.45-14.30 Mittagspause

14.30-15.30 Ana Ofak/Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik:
Mental radiance. Teslas Gedankenlabor als widerspenstige Methode der Naturwissenschaft
Moderation: Jutta Müller-Tamm

15.45-16.45 Christina Wessely/Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte:
Die Exaktheit des Fiktiven. Hanns Hörbigers Welteislehre
Moderation: Uwe Wirth

16.45-17.00 Kaffeepause

17.00-18.00 Markus Krajewski/Bauhaus Universität Weimar:
Im Getriebe der Weltwirtschaft. Wilhelm Ostwalds Investitionen in einen globalen Währungsstandard
Moderation: Christina Wessely

 

Abstracts

Yvonne Wübben
Am Beispiel Gespenster: Hypothesen, Fiktionen und Wissensmodelle im
Berliner Monadenstreit
Der geplante Vortrag untersucht eine Kontroverse, die am Rande des Monadenstreites der Berliner Akademie der Wissenschaften ausgetragen und von denselben Protagonisten (E. Bonnot d. Condillac, G.F. Meier, J.CH. Harenberg, W. Wegener, A. Clavius u.a.) bestritten wurde, die sich auch zum Atomismus und zu Leibniz’ Monadologie geäußert haben. Nur vordergründig beerbt diese zwischen 1746-1749 geführte Diskussion über Gespenster die physikalische Aberglaubenskritik des frühen 18. Jahrhunderts. Sie ist vielmehr in einem Wissensgefecht situiert, in dem es einerseits um konkretes physisches Wissen und andererseits um den epistemischen Status von Experimenten, Beobachtungen und Meinungen geht. Die Vertreter der unterschiedlichen Schulen (Wolff-Baumgarten-Schule, Descartes-Anhänger, Newtonianer) erörtern den Status von Gespenstern – als Hypothese, Fiktion oder Hirngespinst – und ihren potentiellen Bezug zu vermeintlich seriösen Theorien wie der Regenrations- bzw. Zeugungslehre und der Elektrizität. Dabei zeigt sich, dass ‚Gespenster’ nicht primär als potentielle Wissensgegenstände verstanden werden, deren Ablehnung oder Anerkennung im Rahmen der bemühten Theorien zur Disposition stünde, sondern, dass sie als genuine Attraktoren fungieren, die eine Gegenposition zu den in der Entstehung begriffenen Naturwissenschaften markieren. Als solche widersetzen sie sich einer Verwissenschaftlichung auf der einen Seite, erfahren auf der anderen jedoch eine Wissensanreicherung, die sich durch ein hohes Maß an Rhetorizität und Fiktionalisierung auszeichnet.



Johanna Bohley
„Klopfgeisterei“ als Wissenschaft? Zur wissenschaftlichen Legitimierung
des Spiritismus um 1850
Im März 1848 beschrieben in Nordamerika die Geschwister Katie und Leah Fox die spiritistische Wundererscheinung eines Auftretens von Klopfgeistern. Dieses Erlebnis breitete sich als Spiritismus beziehungsweise Geisterbefragung aus und wurde kurz darauf in England und Frankreich praktiziert. Das Tischklopfen bzw. Tischrücken avancierte in Deutschland zu einer breiten Modeerscheinung, auf deren Höhepunkt technische Apparate wie der Psychograph bzw. Seelenschreiber entwickelt wurden, die für den Dialog mit Geistern zum Einsatz kamen. In verschiedenen Periodika erschienen ab 1853 zahlreiche Artikel, die unter anderem auch von Wissenschaftlern verfaßt wurden und in denen das Tischrücken als eine elektrische Erscheinung aufgefaßt wurde. Neben dem romantischen Schriftsteller Justinus Kerner beteiligte sich an dieser Diskussion maßgeblich die seit den 1840er Jahren eher abseits des naturwissenschaftlichen Forschungskanons stehende Generation der romantischen Naturforscher. Unter anderen sahen beispielsweise Joseph Ennemoser, Karl Ludwig Freiherr von Reichenbach und Christian Gottfried Nees von Esenbeck in der „Klopfgeisterei“ ein ganzheitlich-naturphilosophisches Prinzip verwirklicht und versuchten es vor dem Hintergrund eines Wiederauflebens der Lehre vom tierischen Magnetismus unter neuem Vorzeichen wissenschaftlich zu legitimieren. Im Zentrum des Vortrags stehen die Methoden und Argumentationsstrategien, die den Spiritismus als berechtigtes Wissensgebiet ausweisen sollten.



Ana Ofak
Mental radiance. Teslas Gedankenlabor als widerspenstige Methode der Naturwissenschaft
„Die Gedanken einer Person wie die Zeilen eines offenen Buches genauestens zu entziffern, könnte leichter zu bewältigen sein, als viele der Probleme die dem Feld der positiven physikalischen Wissenschaften angehören.“ Diese Äußerung Nikola Teslas stellte den spektakulären Auftakt eines Vortrags im Jahr 1892, der über Experimente mit Wechselstrom hoher Frequenz handelte. Die Mitglieder der Royal Society in London sollten von vorneherein für die Sache eingenommen werden. Tesla ging vom aktuellen Forschungsstandpunkt der Helmholtz’schen Ophtalmologie aus und rief die Verbindung zwischen dem Augenleuchten (in der medizinische Fachsprache das Phosphen), visueller Stimulation der Retina und neuronaler Reflexe ins Gedächtnis. Einen Schritt darüber hinausgehend, imaginierte er einen optischen Apparat, der durch das Ablesen retinaler Kondition während einer Reizsituation, die neuronalen Reaktionen voraussagen würde. Das Funktionsprinzip oder eine Konstruktionsanleitung dieser „mind-reading machine“ (Tesla, 1892) wurden wie bei so vielen seiner Erfindungen der wissenschaftlichen Welt vorenthalten. Berechnungen, jedoch vollkommen frei von Differenzialen und Algorithmen, und einige rudimentäre Diagramme sind einzige Dokumente einer stattgefundenen Forschungsarbeit im Sinne der sich allmählich durchsetzenden labor- und patentfixierten Naturwissenschaft. Teslas Methode glich einem Gedankenlabor, in dem Erfindungen bis zur Perfektion durchexerziert wurden – mathematisch wie experimentell – bevor sie als einwandfrei funktionierende Elektromaschinen in Betrieb gingen oder als Elektrovisionen untergingen. Der Vortrag untersucht einerseits das Gedankenlabor Teslas als widerspenstige Methode der Naturwissenschaft, andererseits die Verwicklungen und Usurpationen, die Teslas Visionen in den Wissenschaften und Künsten bewirkt haben. Der Schwerpunkt liegt auf Teslas Beschäftigung mit dem Licht und dem Augenleuchten sowie auf seinem Entwurf einer „mind-reading machine“.



Christina Wessely
Die Exaktheit des Fiktiven. Hanns Hörbigers Welteislehre
Im September 1894 hatte der Wiener Ingenieur und Kältetechniker Hanns Hörbiger ein `seelisches Erlebnis´, das ihm die Grundgedanken einer neuen universalen Kosmologie, der so genannten Welteislehre oder Glazialkosmogonie, offenbarte. Der Vortrag widmet sich der bemerkenswerten Karriere von Hörbigers ebenso erfolgreicher wie umstrittener Lehre, derzufolge Mond, Milchstraße und Weltäther aus Eis bestünden und nimmt besonders die im glazialkosmogonischen Diskurs vielfältigen und divergenten Konnotationen des Begriffs der (Wissenschafts)Fiktion in den Blick: Einerseits als politische Kampfvokabel von Hörbigers Gegnern eingesetzt, die damit den `gefährlichen´ und `pseudowissenschaftlichen´ Charakter der Theorie markieren wollten, besetzte er andererseits innerhalb der spektakulären Wissensnarration rund um das Welteis eine epistemologische Schlüsselstelle, indem das Potential der Fiktion für das eigene wissenschaftliche Selbstverständnis akquiriert und dem wissenschaftlichen Konkurrenten damit gleichzeitig die Verfügung über Fantasie und Intuition als entscheidendes Mittel der Wissensgeneration abgesprochen wurde.



Markus Krajewski
Im Getriebe der Weltwirtschaft. Wilhelm Ostwalds Investitionen in einen globalen
Währungsstandard
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verdichtet sich die Wirtschaft infolge des Weltverkehrs zu einem globalen System, das neben den primären Übertragungsmedien wie Eisenbahn, Post, Telegraphie und Ozendampfschiffahrt nicht zuletzt auf sekundären Medien wie Sprache oder Geld basiert. Da diesen "Verkehrsmitteln" jedoch noch allzu sehr das unzulängliche Merkmal regionaler Reichweite oder nationaler Beschränkung zukommt, entwickeln verschiedene Projektemacher übergreifende Konzepte, um diesem Mißstand etwa in Form von sog. Welthilfssprachen oder einer global gültigen Währung Abhilfe zu schaffen. Anhand eines prominenten Vertreters dieser medialen Globalisierungsbewegung, des Chemikers und Naturphilosophen Wilhelm Ostwald, verfolgt der Beitrag dessen programmatische Initiative zur Etablierung eines sog. Welt-Gelds. Neben dem analytischen Blick auf die Diskurse eines solchen Vereinheitlichungsdenkens steht dabei insbesondere die Methode im Mittelpunkt, mit Hilfe derer Vertreter wie Ostwald glauben, ihre hochfliegenden, vermeintlich einfachen Pläne auch in die Tat umsetzen zu können.