Luftschlösser. Hirngespinste, Visionen und Fiktionen in den Naturwissenschaften
Programm
Der Name Zwischenräume steht für halbjährliche
Kooperationstreffen, die seit Februar 2001 zwischen dem Hermann von
Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik an der Humboldt- Universität zu
Berlin, dem Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin, und
dem Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin abgehalten wurden
und die nun unter Beteiligung des Instituts für Deutsche und
Niederländische Philologie der Freien Universität Berlin fortgesetzt
werden. Ziel dieser Treffen ist es, den Austausch zwischen den vier
Einrichtungen sowohl auf inhaltlicher als auch auf personeller Ebene zu
intensivieren.
Die Veranstaltung Luftschlösser – Hirngespinste, Visionen und Fiktionen in den Naturwissenschaften versteht sich als erster Teil einer Reihe mit dem Titel Wissenschaftsfiktionen. Methoden – Figuren – Projekte,
die jeweils unterschiedliche Perspektiven auf die vielfältigen, häufig
unklaren und umstrittenen Verbindungen von Wissenschaft und Fiktion
entwickelt.
Absurde Ideen, verrückte Hypothesen und
`pseudowissenschaftliche´ Theorien werden traditionellerweise – sofern
sie überhaupt Beachtung erfahren – als das Andere der Wissenschaften und
ihrer Geschichte markiert, ihre Autoren und Verfechter als randständige
Figuren verzeichnet, die sich bestenfalls an den äußersten Grenzen des
modernen wissenschaftlichen Diskurses bewegen. Im Gegensatz dazu soll
anhand der exemplarischen Verhandlung einiger dieser fantastischen
Projekte davon ausgegangen werden, dass diese weniger als nachgemachtes,
(gescheitertes) `Als Ob´ auf ein außerhalb liegendes Echtes, Richtiges
verweisen, sondern vielmehr genuine, originelle Gegenpositionen zu den
zeitgenössischen Naturwissenschaften darstellten, die nicht zuletzt
aufgrund ihrer oftmals großen Popularität ihre historiographische
Marginalisierung in Frage stellen. Der Blick soll daher sowohl auf die
historischen Entstehungsbedingungen und Attraktionskulturen dieser
`Wissenschaftsfiktionen´ gerichtet werden, als auch auf die
erkenntnistheoretischen Positionen, die – in Ablehnung oder Aneignung
naturwissenschaftlicher Theorie und Methodik – von deren Autoren und
Verfechtern eingenommen wurden.
Programm
10.00-10.30 Begrüßung: Julia Kursell
10.30-11.30 Yvonne Wübben/Freie Universität Berlin, Zentrum für Literatur- und Kulturforschung:
Am Beispiel Gespenster: Hypothesen, Fiktionen und Wissensmodelle im Berliner Monadenstreit
Moderation: Julia Kursell
11.30-11.45 Kaffeepause
11.45-12.45 Johanna Bohley/Freie Universität Berlin:
`Klopfgeisterei´ als Wissenschaft? Zur wissenschaftlichen Legitimierung des Spiritismus um 1850
Moderation: Katrin Solhdju
12.45-14.30 Mittagspause
14.30-15.30 Ana Ofak/Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik:
Mental radiance. Teslas Gedankenlabor als widerspenstige Methode der Naturwissenschaft
Moderation: Jutta Müller-Tamm
15.45-16.45 Christina Wessely/Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte:
Die Exaktheit des Fiktiven. Hanns Hörbigers Welteislehre
Moderation: Uwe Wirth
16.45-17.00 Kaffeepause
17.00-18.00 Markus Krajewski/Bauhaus Universität Weimar:
Im Getriebe der Weltwirtschaft. Wilhelm Ostwalds Investitionen in einen globalen Währungsstandard
Moderation: Christina Wessely
Abstracts
Yvonne Wübben
Am Beispiel Gespenster: Hypothesen, Fiktionen und Wissensmodelle im
Berliner Monadenstreit
Der
geplante Vortrag untersucht eine Kontroverse, die am Rande des
Monadenstreites der Berliner Akademie der Wissenschaften ausgetragen und
von denselben Protagonisten (E. Bonnot d. Condillac, G.F. Meier, J.CH.
Harenberg, W. Wegener, A. Clavius u.a.) bestritten wurde, die sich auch
zum Atomismus und zu Leibniz’ Monadologie geäußert haben. Nur
vordergründig beerbt diese zwischen 1746-1749 geführte Diskussion über
Gespenster die physikalische Aberglaubenskritik des frühen 18.
Jahrhunderts. Sie ist vielmehr in einem Wissensgefecht situiert, in dem
es einerseits um konkretes physisches Wissen und andererseits um den
epistemischen Status von Experimenten, Beobachtungen und Meinungen geht.
Die Vertreter der unterschiedlichen Schulen (Wolff-Baumgarten-Schule,
Descartes-Anhänger, Newtonianer) erörtern den Status von Gespenstern –
als Hypothese, Fiktion oder Hirngespinst – und ihren potentiellen Bezug
zu vermeintlich seriösen Theorien wie der Regenrations- bzw.
Zeugungslehre und der Elektrizität. Dabei zeigt sich, dass ‚Gespenster’
nicht primär als potentielle Wissensgegenstände verstanden werden, deren
Ablehnung oder Anerkennung im Rahmen der bemühten Theorien zur
Disposition stünde, sondern, dass sie als genuine Attraktoren fungieren,
die eine Gegenposition zu den in der Entstehung begriffenen
Naturwissenschaften markieren. Als solche widersetzen sie sich einer
Verwissenschaftlichung auf der einen Seite, erfahren auf der anderen
jedoch eine Wissensanreicherung, die sich durch ein hohes Maß an
Rhetorizität und Fiktionalisierung auszeichnet.
Johanna Bohley
„Klopfgeisterei“ als Wissenschaft? Zur wissenschaftlichen Legitimierung
des Spiritismus um 1850
Im
März 1848 beschrieben in Nordamerika die Geschwister Katie und Leah Fox
die spiritistische Wundererscheinung eines Auftretens von
Klopfgeistern. Dieses Erlebnis breitete sich als Spiritismus
beziehungsweise Geisterbefragung aus und wurde kurz darauf in England
und Frankreich praktiziert. Das Tischklopfen bzw. Tischrücken avancierte
in Deutschland zu einer breiten Modeerscheinung, auf deren Höhepunkt
technische Apparate wie der Psychograph bzw. Seelenschreiber entwickelt
wurden, die für den Dialog mit Geistern zum Einsatz kamen. In
verschiedenen Periodika erschienen ab 1853 zahlreiche Artikel, die unter
anderem auch von Wissenschaftlern verfaßt wurden und in denen das
Tischrücken als eine elektrische Erscheinung aufgefaßt wurde. Neben dem
romantischen Schriftsteller Justinus Kerner beteiligte sich an dieser
Diskussion maßgeblich die seit den 1840er Jahren eher abseits des
naturwissenschaftlichen Forschungskanons stehende Generation der
romantischen Naturforscher. Unter anderen sahen beispielsweise Joseph
Ennemoser, Karl Ludwig Freiherr von Reichenbach und Christian Gottfried
Nees von Esenbeck in der „Klopfgeisterei“ ein
ganzheitlich-naturphilosophisches Prinzip verwirklicht und versuchten es
vor dem Hintergrund eines Wiederauflebens der Lehre vom tierischen
Magnetismus unter neuem Vorzeichen wissenschaftlich zu legitimieren. Im
Zentrum des Vortrags stehen die Methoden und Argumentationsstrategien,
die den Spiritismus als berechtigtes Wissensgebiet ausweisen sollten.
Ana Ofak
Mental radiance. Teslas Gedankenlabor als widerspenstige Methode der Naturwissenschaft
„Die
Gedanken einer Person wie die Zeilen eines offenen Buches genauestens
zu entziffern, könnte leichter zu bewältigen sein, als viele der
Probleme die dem Feld der positiven physikalischen Wissenschaften
angehören.“ Diese Äußerung Nikola Teslas stellte den spektakulären
Auftakt eines Vortrags im Jahr 1892, der über Experimente mit
Wechselstrom hoher Frequenz handelte. Die Mitglieder der Royal Society
in London sollten von vorneherein für die Sache eingenommen werden.
Tesla ging vom aktuellen Forschungsstandpunkt der Helmholtz’schen
Ophtalmologie aus und rief die Verbindung zwischen dem Augenleuchten (in
der medizinische Fachsprache das Phosphen), visueller Stimulation der
Retina und neuronaler Reflexe ins Gedächtnis. Einen Schritt darüber
hinausgehend, imaginierte er einen optischen Apparat, der durch das
Ablesen retinaler Kondition während einer Reizsituation, die neuronalen
Reaktionen voraussagen würde. Das Funktionsprinzip oder eine
Konstruktionsanleitung dieser „mind-reading machine“ (Tesla, 1892)
wurden wie bei so vielen seiner Erfindungen der wissenschaftlichen Welt
vorenthalten. Berechnungen, jedoch vollkommen frei von Differenzialen
und Algorithmen, und einige rudimentäre Diagramme sind einzige Dokumente
einer stattgefundenen Forschungsarbeit im Sinne der sich allmählich
durchsetzenden labor- und patentfixierten Naturwissenschaft. Teslas
Methode glich einem Gedankenlabor, in dem Erfindungen bis zur Perfektion
durchexerziert wurden – mathematisch wie experimentell – bevor sie als
einwandfrei funktionierende Elektromaschinen in Betrieb gingen oder als
Elektrovisionen untergingen. Der Vortrag untersucht einerseits das
Gedankenlabor Teslas als widerspenstige Methode der Naturwissenschaft,
andererseits die Verwicklungen und Usurpationen, die Teslas Visionen in
den Wissenschaften und Künsten bewirkt haben. Der Schwerpunkt liegt auf
Teslas Beschäftigung mit dem Licht und dem Augenleuchten sowie auf
seinem Entwurf einer „mind-reading machine“.
Christina Wessely
Die Exaktheit des Fiktiven. Hanns Hörbigers Welteislehre
Im
September 1894 hatte der Wiener Ingenieur und Kältetechniker Hanns
Hörbiger ein `seelisches Erlebnis´, das ihm die Grundgedanken einer
neuen universalen Kosmologie, der so genannten Welteislehre oder Glazialkosmogonie,
offenbarte. Der Vortrag widmet sich der bemerkenswerten Karriere von
Hörbigers ebenso erfolgreicher wie umstrittener Lehre, derzufolge Mond,
Milchstraße und Weltäther aus Eis bestünden und nimmt besonders die im
glazialkosmogonischen Diskurs vielfältigen und divergenten Konnotationen
des Begriffs der (Wissenschafts)Fiktion in den Blick: Einerseits als
politische Kampfvokabel von Hörbigers Gegnern eingesetzt, die damit den
`gefährlichen´ und `pseudowissenschaftlichen´ Charakter der Theorie
markieren wollten, besetzte er andererseits innerhalb der spektakulären
Wissensnarration rund um das Welteis eine epistemologische
Schlüsselstelle, indem das Potential der Fiktion für das eigene
wissenschaftliche Selbstverständnis akquiriert und dem
wissenschaftlichen Konkurrenten damit gleichzeitig die Verfügung über
Fantasie und Intuition als entscheidendes Mittel der Wissensgeneration
abgesprochen wurde.
Markus Krajewski
Im Getriebe der Weltwirtschaft. Wilhelm Ostwalds Investitionen in einen globalen
Währungsstandard
Gegen
Ende des 19. Jahrhunderts verdichtet sich die Wirtschaft infolge des
Weltverkehrs zu einem globalen System, das neben den primären
Übertragungsmedien wie Eisenbahn, Post, Telegraphie und
Ozendampfschiffahrt nicht zuletzt auf sekundären Medien wie Sprache oder
Geld basiert. Da diesen "Verkehrsmitteln" jedoch noch allzu sehr das
unzulängliche Merkmal regionaler Reichweite oder nationaler Beschränkung
zukommt, entwickeln verschiedene Projektemacher übergreifende Konzepte,
um diesem Mißstand etwa in Form von sog. Welthilfssprachen oder einer
global gültigen Währung Abhilfe zu schaffen. Anhand eines prominenten
Vertreters dieser medialen Globalisierungsbewegung, des Chemikers und
Naturphilosophen Wilhelm Ostwald, verfolgt der Beitrag dessen
programmatische Initiative zur Etablierung eines sog. Welt-Gelds. Neben
dem analytischen Blick auf die Diskurse eines solchen
Vereinheitlichungsdenkens steht dabei insbesondere die Methode im
Mittelpunkt, mit Hilfe derer Vertreter wie Ostwald glauben, ihre
hochfliegenden, vermeintlich einfachen Pläne auch in die Tat umsetzen zu
können.