ZwischenRäume 12
26 Jan 2007 · 3.00 pm

Fixe Ideen. Zur Beharrlichkeit von Fiktionen

Venue: Humboldt-Universität, Unter den Linden 6, 10117 Berlin, Raum 3031
Contact: Uwe Wirth, Philipp von Hilgers, Ana Ofak, Jutta Müller-Tamm
Research project(s): ZwischenRäume

Program

Der Name Zwischenräume steht für halbjährliche Kooperationstreffen, die seit Februar 2001 zwischen dem Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik an der Humboldt-Universität zu Berlin, dem Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin und dem Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin abgehalten wurden und die nun unter Beteiligung des Instituts für Deutsche und Niederländische Philologie der Freien Universität Berlin fortgesetzt werden. Ziel dieser Treffen ist es, den Austausch zwischen den vier Einrichtungen sowohl auf inhaltlicher als auch auf personeller Ebene zu intensivieren. Die Veranstaltung Fixe Ideen - Zur Beharrlichkeit von Fiktionen versteht sich als zweiter Teil einer Reihe mit dem Titel Wissenschaftsfiktionen. Methoden - Figuren - Projekte, die jeweils unterschiedliche Perspektiven auf die vielfältigen, häufig unklaren und umstrittenen Verbindungen von Wissenschaft und Fiktion entwickelt.

Außerordentliche Einfälle, die in wiederkehrenden Gedanken oder alles überragenden Vorstellungen einen Bedeutungszuwachs erfahren, werden als „fixe Ideen“ bezeichnet. Die Figur der „fixen Idee“ fand ihre Theoretisierung, aber auch kritische Umdeutung in der klinischen Psychologie des 19. Jahrhunderts. Eine verfestigte Wahnvorstellung, die in der Chronik einer psychischen Krankheit den zentraler Dreh- und Angelpunkt markiert, wurde als „fixe Idee“ denotiert. Die Fixierung einer Idee, eines einmaligen mentalen Ereignisses, ist jedoch ein Widerspruch in sich. Denn gerade ihr wiederholtes Aufrufen führt zur stetigen Aktualisierung, Variation und Modifikation. Genau diese Widersprüchlichkeit greift Paul Valéry in seiner „Idée fixe“ auf, um der scheinbaren Rigidität eine latente Beweglichkeit entgegenzustellen. In der Historiographie der Wissenschaftlichkeit nehmen „fixe Ideen“ einen ambivalenten Status ein. Als möglicher Ausgangspunkt eines Gedankengebäudes tragen sie zu seiner Fundierung, Durchsetzungskraft oder sogar Glaubwürdigkeit bei. So können fiktive Denkfiguren und Modelle auf Grundlage einer zum Paradigma erhobenen „fixen Idee“ Jahrzehnte lang mit konkurrierenden Theorien parieren, ohne mathematische Beweise oder experimentelle Gültigkeit an den Tag zu legen. Ihre Widerlegung oder der Bruch mit einem solch beharrlichen Paradigma führt meist zu einer nachträglichen Degradierung zum „Hirngespinnst“, um so Objektivität und Unfehlbarkeit einer wissenschaftlichen Disziplin zu rehabilitieren. Oder aber die „fixe Idee“ überdauert in Vergessenheit, um dann mithilfe neuerer Methoden und Experimentaltechniken ihre Umwendung in eine „waschechte“ Theorie zu erfahren. In der zweiten Sitzung der Wissenschaftsfiktionen werden die immanente Widersprüchlichkeit oder das Paradoxe der „fixen Ideen“ untersucht, die sich in ihrer Beharrlichkeit, aber auch gleichzeitigen Unberechenbarkeit der Realisierung oder des Erfolgs zeigen.

Programm
14.00
Begrüßung

14.20-15.10
Martin Hense, Jutta Müller-Tamm/Freie Universität Berlin:
Seelenwanderung. Zur Konjunktur eines Konzept im 18. Jahrhundert
Moderation: Barbara Wildenhahn

15.20-16.10
Erik Porath/Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin:
Zwischen Fixierung und Ideenflucht. Assoziationismus, Übertragung und Wiederkehr in der Freudschen Psychoanalyse
Moderation: Uwe Wirth

16:10-16:50
Kaffeepause

17.00-17.50
Philipp von Hilgers/Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin:
Black box. Das Reale des "Schwarzgeräts" in Pynchons Weltkriegsepos und das Fiktive des Grundmodelles der Systemtheorie
Moderation: Ana Ofak

Abstracts
Martin Hense, Jutta Müller-Tamm: Seelenwanderung. Zur Konjunktur eines Konzepts im 18. Jahrhundert

Die Vorstellung von Seelenwanderung und Wiedergeburt erlebt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts selbst bei prominenten Aufklärern wie Lessing oder Lichtenberg eine auf den ersten Blick überraschende Konjunktur. Ältere, geistesgeschichtlich orientierte Studien haben das Aufkommen der Reinkarnationsvorstellung im 18. Jahrhundert der - unterschiedlich bewerteten - irrationalistischen Kehrseite der Aufklärung zugeschlagen. Der Beitrag geht hingegen von der Überzeugung aus, daß es zunächst gilt, das Feld des positiven Wissens zu beschreiben, innerhalb dessen Palingenesie und Metempsychose im 18. Jahrhundert überhaupt diskutabel werden. Ein solcher Ansatz ergibt unter anderem, daß die Konzepte von Seelenwanderung und Wiederverkörperung gerade aufgrund ihrer Integrationsleistung und ihrer Anschlußfähigkeit an biologische, anthropologische, geschichtsphilosophische und ästhetische Diskussionszusammenhänge attraktiv werden. Die "fixe Idee" der Seelenwanderung - Lichtenberg etwa spricht von seinem System und seiner merkwürdigen Meinung von der Seelenwanderung - soll also nicht als religionsphilosophisches Theorem, sondern als Figur des Wissens betrachtet werden. An ausgewählten Beispielen wird die Funktion dieser Denkfigur im Wissenshaushalt der Zeit untersucht.


Erik Porath: Zwischen Fixierung und Ideenflucht. Assoziationismus, Übertragung und Wiederkehr in der Freudschen Psychoanalyse

Freuds und Breuers Einsicht, die "Hysterischen leiden an Reminiscenzen", läuft in therapeutischer Hinsicht auf die kathartische Auflösung der insistierenden sinnlichen Eindrücke, vornehmlich der Bilder, hinaus, und zwar durch das 'Absprechen', das ausdrückliche Erinnern der pathogenen Situation in der analytischen Kur. In seiner ausführlichen Auseinandersetzung mit dem tradierten wissenschaftlichen, philosophischen und literarischen Wissen über Traum und Träumen in der Traumdeutung konstatiert Freud eine Ähnlichkeit zwischen der Flüchtigkeit der Traumbilder und der psychopathologischen Diagnose der Ideenflucht.
Der psychoanalytische Terminus der Fixierung entwickelt sich in der Spannung zur angestrebten therapeutischen Auflösung, d. h. Analyse von psychischen Bildungen einerseits und dem Widerstand sowohl gegen Ideenflucht als auch gegen die grundsätzliche Flüchtigkeit der Wahrnehmung andererseits. So bildet Fixierung zum einen die zentrale Kennzeichnung pathologischer Zustände bzw. Vorgänge (das Nicht-anders-Können des Neurotikers, das Nicht-weichen-Wollen der Symptome, die Hartnäckigkeit der Wiederholung des Schreckenerregenden und der Wiederkehr des Verdrängten), zum anderen ist Fixierung für Freud positiv konnotiert mit den Grundmechanismen der Gedächtnisbildung, nämlich den verschiedenen Niederschriften in den Erinnerungssystemen. Damit ist Fixierung auch in den Gegensatz zwischen der Erhaltung von Dauerspuren im Gedächtnis und der unverändert frischen Aufnahmefähigkeit des Wahrnehmungssystems eingeschrieben.
Der Vortrag wird sich einleitend mit den wissenschaftsgeschichtlichen Zusammenhängen von idée fixe und Ideenflucht vor und bei Freud beschäftigen und dabei besonders die Aufnahme und Transformation des klassischen Assoziationismus im Hinblick auf eine Theorie der anderen Assoziation in der Psychoanalyse berücksichtigen. Daran anschließend soll kurz skizziert werden, wie die Phänomene der fixen Idee und der Ideenflucht vor dem Hintergrund der psychoanalytischen Theorie der Assoziation erscheinen. Zuletzt geht es um fixe Ideen im Werk Freuds selbst.


Philipp von Hilgers: Black box. Das Reale des "Schwarzgeräts" in Pynchons Weltkriegsepos und das Fiktive des Grundmodelles der Systemtheorie

Frage: Was kommt nach der Aufklärung? Antwort: Die black box! Mit dem Aufkommen der Kybernetik hat das 20. Jahrhundert in der Annahme von systemimmanenten Uneinsichtigkeiten zu einer ultima ratio gefunden, deren Sinnbild das Schema der black box darstellt: Die innere Wirkungsweise eines Systems ist hier allein aufgrund von äußeren Ein- und Ausgangsdaten zu erschließen. Der Mehrwert dieses Denkmodells scheint darin zu liegen, daß durch die Ausblendung der konkreten materiellen Beschaffenheit von Operationalitäten, Problemlösungen nunmehr allein im Bereich des Symbolischen zu suchen sind. Eine historische Rekonstruktion des Diskurses um die black box, der sich noch während der Zeit des Zweiten Weltkrieges entspinnt, zeigt, daß seine Dynamik im Wesentlichen aus zwei in einem Spannungsverhältnis stehenden Momenten hervorgeht. Zum einem offenbart die black box, daß eine fiktive Konfiguration einräumt, Komplexitäten und Unberechenbarkeiten auf symbolischer Ebene hervorzubringen, wie sie zuvor einzig im Detail und Konkreten physischer Realitäten vermutet wurden. Zum anderen ist der black box eine Geschichtlichkeit eingeschrieben, die von der Vorstellung, sie sei ein reines Gedankenmodell, eher notdürftig verdeckt wird. Tatsächlich haben Neurologen wie Warren McCulloch und Mathematiker wie Norbert Wiener die medialen Dispositive des Zweiten Weltkriegs genauestens im Blick gehabt, als sie die Metapher von der black box prägten. Eine Untersuchung zur Geschichte der black box als Sache und Begriff wird darüber nicht hinweggehen können.

Media Response

30 Jan 2007
Zeit für Exzellenz

Article by Antje Korsmeier, in: die tageszeitung, 30 Jan 2007