Übertragungswissen – Wissensübertragungen. Zur Geschichte und Aktualität des Transfers zwischen Lebens- und Geisteswissenschaften (1930/1970/2010)

Erneuerungen des Wissens entstehen aus Grenzüberschreitungen und epistemischen Transfers. Gerade in der heutigen Wissensgesellschaft finden Innovationen an den Schnittstellen zwischen Fachdiskursen statt. Solche Transfers behandelte das Projekt mit Blick auf historische und aktuelle Übertragungssituationen zwischen Lebens- und Geisteswissenschaften.

Die Fallstudien der Teilprojekte bezogen sich auf historische Konstellationen, in denen sich neue Paradigmen der Erforschung von Lebensprozessen herausgebildet haben. In jedem der untersuchten Fälle ist es ein spezifisch biologisches Übertragungswissen, das die interdisziplinären Wissensübertragungen motiviert. Um 1930 arbeitet der Bakteriologe Ludwik Fleck – vor dem Hintergrund einer Krise des Infektionsbegriffs – an einer Kulturalisierung der Lebenswissenschaften. Um 1970 entwirft Jacques Monod, der als Genetiker die Übertragung von Erbinformationen erforscht hat, eine sowohl biologisch als auch kosmologisch ausgerichtete Naturphilosophie.

Die Untersuchung dieser beiden Konstellationen diente als wissenshistorische Anamnese für einen aktuellen Fall der Wissensübertragung: Beim Verbundpartner, dem Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, wurde im Rahmen einer Laborstudie die wissenschaftliche Arbeit der Abteilung für Tumorvirologie untersucht mit dem Ziel, die Art und Weise der Produktion und Distribution von Wissen sowie die handlungsleitenden Übersetzungs- und Repräsentationskonzepte zu erhellen. Dazu wurde ein Kulturwissenschaftler in die Laborarbeit integriert. Am Beispiel der maßgeblich durch den Nobelpreisträger Harald zur Hausen geprägten Tumorvirologie wurden die bislang zumeist impliziten Wissensübertragungen in der Laborforschung befragt – von der Transkription natürlichen Materials in Modellorganismen bis hin zur forschungspraktischen Funktion von Begriffen, Modellen und Metaphern. Die wissenschaftshistorischen und erkenntnistheoretischen Einsichten aus den beiden Teilprojekten bereicherten die kulturwissenschaftlich-epistemologisch ausgerichtete Wissenschaftsforschung und dienten der Erhellung des Wissenschaftshandelns auf dem aktuellen Feld der Krebsforschung.

gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), »Übersetzungsfunktion der Geisteswissenschaften« 2009–2013
Leitung: Falko Schmieder, Mitantragstellung: Frank Rösl (Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg)
Bearbeitung: Peter Berz, Birgit Griesecke, Marion Herz
Gäste: Georg Otte, Benjamin Steininger

Publikationen

Birgit Griesecke, unter Mitarb. von Werner Kogge

Fremde Wissenschaft?
Drei Studien zum Einsatz konzeptueller Forschung im Verhältnis von Wissenschaft und Kultur

Übertragungswissen Bd. 1
Kulturverlag Kadmos, Berlin 2014, 200 Seiten
ISBN 978-3-86599-229-1

Medienecho

21.04.2010
Von der Idee zur Akzeptanz – Wie Wissen in die Welt gelangt

Wissenschaftsphilosoph untersucht das Entstehen von Wissen am Deutschen Krebsforschungszentrum. Pressemitteilung Nr. 17 des Deutschen Krebsforschungszentrums DKFZ vom 21.4.2010