Kultur der Evolution. Rethinking evolutionary theory from the perspective of cultural studies
Programm
Mit der zunehmenden Bedeutung der Lebenswissenschaften und dem Aufstieg der Biologie zu einer Leitwissenschaft des 21. Jahrhunderts erlebt auch die Evolutionstheorie eine Renaissance. Jüngst hat sie – vor allem mit dem Paradigma ‚Kulturelle Evolution’ – bis weit in die historischen und kulturellen Wissenschaften hinein an Deutungshoheit gewonnen. In der Verwendung des Evolutionsbegriffs ist dabei allerdings eine enorme Bandbreite zu verzeichnen: von Darwins Konzeption der Evolution als Dezendenzgesetz der Arten, das auf den Funktionen von Mutation, Selektion, Variation und Vererbung basiert, über Bemühungen, seine Vorstellungen an den Fortschritt der Naturwissenschaften, an Gentechnologie und Hirnforschung anzupassen, bis zur allgemeinen Verwendung von Evolution als Synonym für Entwicklung.
Damit ist die Evolutionstheorie auch längst nicht mehr nur eine Sache der Biologie und Lebenswissenschaften: Kulturwissenschaftler und Künstler arbeiten mit Grundannahmen der Evolution und tragen zu einer Kritik der Darwinschen Vererbungs- und Entwicklungsgesetze bei. All dies ist Anlass genug, die Evolutionstheorie, ihre Grundannahmen und ihre Voraussetzungen, einer grundsätzlichen Revision zu unterziehen.
Wird die Evolutionstheorie sowohl auf ihre epistemischen Grundlagen und kulturellen Voraussetzungen als auch ihre Reichweite und ihren Geltungsbereich hin befragt, so kehrt sich die Untersuchungsperspektive um: Anstatt nach der Evolution der Kultur fragt die Jahrestagung des ZfL unter Beteiligung von Natur- und Kulturwissenschaftlern nach der Kultur der Evolution.
Die Relevanz kulturellen Wissens und kultureller Phänomene für Begriff und Theorie der Evolution betrifft dabei mehrere Dimensionen:
* In wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive geht es um die historischen, kulturellen und konzeptuellen Bedingungen für die Genese der Evolutionstheorie vor dem Horizont der Ausdifferenzierung der Fachwissenschaften: In welcher Beziehung stehen Kernbegriffe der Evolutionstheorie (wie z.B. Survival, Symbiose, Vererbung) zu verwandten Konzepten in den Kulturwissenschaften?
* In phänomenologischer Perspektive geht es um den Status kultureller Phänomene für die ‚Gesetze’ der Evolution: Werden durch kulturelle Faktoren, wie Darwin selbst manchmal nahe legt, die Gesetze der Evolution außer Kraft gesetzt oder modifiziert? Inwieweit intervenieren kulturelle Phänomene in die Vererbung? Müssen die Grundbegriffe der Evolutionstheorie wie Selektion, Vererbung, Abstammung, Genotyp und Phänotyp – insbesondere vor dem Horizont epigenetischer Forschung – neu gedacht werden?
* In epistemischer Perspektive geht es um die materiellen Voraussetzungen und experimentellen Konstellationen, in denen das Wissen über Evolution generiert wird, und um die Frage, wie Beiträge von Nicht-Biologen, von Kulturwissenschaftlern und Künstlern, darin eingehen.
Donnerstag 30. Oktober 2008
15.00
Sigrid Weigel: Eröffnung
Grenzen der Darwinschen Evolutionstheorie
Moderation: Ohad Parnes
15.30–17.30
Ekkehard Höxtermann: "Consortien" (1872), "Homobien" (1877), "Symbiosen" (1878) und andere Versuche zur Verallgemeinerung eines neuen "biologischen Problems"
Sigrid Weigel: Epigenetische Herausforderungen an die Evolutionstheorie
18.00
Franz Wuketits: Lob der Feigheit. Darwins "survival of the fittest" einmal anders gesehen
Peter Bowler: Do we need a non-Darwinian industry?
Freitag 31. Oktober 2008
Die Künste und die Evolutionstheorie
Moderation: Uta Kornmeier
9.00–11.00
Sabine Flach: Darwins Moment der Visualisierung
Margarete Vöhringer: The Museum Darwinianum and evolutionism in early Soviet Russia
11.30–13.30
Barbara Larson: Munch in Berlin
Stefan Willer: "Imitation of similar beings". Social mimesis as an argument in evolutionary theory around 1900
Moderation: Stefan Willer
14.30–16.30
Winfried Menninghaus: Kulturelle Vorbilder für Darwins Konzept der Schönheit
Julia Voss: Die Ästhetik des Zufalls. Sexuelle Selektion bei Charles Darwin
17.00–19.00
Peter Berz: Das Gedicht im morphogenetischen Feld. Ossip Mandelstamms revolutionäre Biologie und ihre Freunde
Tobias Robert Klein: A tale of speakers, guitars and breast fondling: Evolutionary categories and the cultural constitution of meaning in a Ghanaian Lakpa song
19.30
Abendvortrag
Moderation: Sabine Flach
Barbara Maria Stafford: Order. Schematic forms and the intuition of emotion
Samstag 1. November 2008
Evolution zwischen Kultur und Natur
Moderation: Thomas Macho
14.30–16.30
W. Tecumseh Fitch: Theories of language evolution: History repeats itself
Daniel Dor: New ideas about the evolution of language
17.00-19.00
Philipp Sarasin: Genealogie bei Darwin und Foucault
Christine Kirchhoff/ Gerhard Scharbert: Freud und die Evolution
19.30
Abendvortrag
Moderation: Peter Berz
Lynn Margulis: Symbiogenesis in the evolution of planet Earth
Sonntag 2. November 2008
Jenseits der Darwinschen Evolutionstheorie
Moderation: Peter Berz
10.30–12.30
Staffan Müller-Wille: The dark side of evolution: deception, degeneration, and extermination
Ohad Parnes: 'Survival of the youngest'? Age and aging as a major challenge for evolutionary theory
Moderation: Staffan Müller-Wille
13.30–14.45
Jaroslav Flegr: Postneodarwinistic theories of evolution
15.15–17.00
Thomas P. Weber: On the disunity of biological and cultural evolution
Jonathan Marks: What is the viewpoint of hemoglobin, and does it matter?
17.15 Finissage