Tier-Werdungen. Perspektiven auf nicht-menschliche Wirklichkeiten
Programm
Veranstaltungsreihe
der Berliner Institutionen: Hermann-von-Helmholtz-Zentrum für
Kulturtechnik, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Zentrum
für Literatur- und Kulturforschung und Freie Universität Berlin.
Der Name ZwischenRäume
steht für halbjährliche Kooperationstreffen, die seit Februar 2001
zwischen dem Hermann-von-Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, dem
Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und dem Zentrum für
Literatur- und Kulturforschung abgehalten wurden und die nun unter
Beteiligung des Instituts für Deutsche und Niederländische Philologie
der Freien Universität Berlin fortgesetzt werden. Ziel dieser Treffen
ist es, den Austausch zwischen den vier beteiligten Einrichtungen sowohl
auf inhaltlicher als auch auf personeller Ebene zu intensivieren.
PROGRAMM: Tier-Werdungen. Perspektiven auf nicht-menschliche Wirklichkeiten
15.00
Katrin Solhdju
Begrüßung und thematische Einführung
15.30
Angela Fischel
Das Tier Mensch. Hybride Gestalten in der Naturphilosophie des 17. Jahrhunderts.
16.15
Kyung-Ho Cha
Animal crypticum. Zur zoologischen Theologie des 20. Jahrhundert
17.00
Cord Riechelmann
Tierwerden in den Schriften, Interviews und Pamphleten des Subcommandante Marcos
Ob
man Tieren menschliche Eigenschaften zuspricht, sie vermenschlicht,
oder ob man in einem gegenstrebigen Zuge vom Menschen als dem denkenden,
rituellen oder politischen Tier sprechen mag, in jedem Fall läuft man -
die Absicht mag gegenteilig sein - Gefahr, das Oppositions- bzw.
Hierarchiepaar Tier /Mensch, wenn auch mit neuen Vorzeichen
ausgestattet, zu verfestigen. Die 14. Zwischenräume gehen davon aus,
dass eine Analyse konkreter Praktiken der Wissensproduktion zu einer
Pluralisierung führen kann, die nicht länger Mensch und Tier einander
gegenüberstellt, sondern weiter verzweigte Differenzierungen ermöglicht.
Daher soll die Frage nicht lauten, „Wie unterscheiden sich Mensch und
Tier voneinander?“, sondern vielmehr, „Was ereignet sich im Zusammensein
von Mensch und Tier, was geht hervor, wenn sie sich begegnen?“
Das
gegen Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin lebende und legendär
gewordene Pferd „Der schlaue Hans“ war einer der Ausgangspunkte für das
Stellen dieser Frage. Hans konnte zählen. Wie die belgische Philosophin
und Ethologin Vinciane Despret überzeugend darstellt, machten sich
verschiedene Wissenschaftler daran, dem Geheimnis des schlauen Pferdes
auf die Spur zu kommen. Der Wichtigste unter ihnen, Oskar Pfungst,
geriet auf die Fährte, seine Experimente weniger an den in Frage
stehenden menschlichen Fähigkeiten des Tieres, als vielmehr an dessen
Interessen auszurichten. Sein Ergebnis war verkürzt gesagt, dass es
einen wechselseitigen Austausch von Fähigkeiten zwischen den Menschen
und Hans gab, der maßgeblich von dem Pferd gesteuert wurde. Es brachte
seinen Befragern bei, ohne dass diese es bemerkt hätten, unwissend
minimale Bewegungen oder eher Anspannungen und Entspannungen
auszuführen, die die Anzahl der von ihm geklopften Huftritte
beeinflusste. Es zählte weniger, als dass es mit seinem Gegenüber in
eine körperliche Beziehung getreten war. So hatte der Körper des
Wissenschaftlers gelernt, von Hans affiziert zu werden und andersherum.
Gewissermaßen war hier nicht mehr zu unterscheiden zwischen demjenigen,
der Experimentierte und demjenigen, an dem experimentiert wurde. Sie
hatten sich in eine gemeinsame Zwischenwelt begeben. Pfungsts darauf
folgende Experimente führen dies in signifikanter Form vor Augen: da
klar war, dass das Pferd etwas mit den Menschen machte, das diese zu
Instrumenten werden ließ, an denen es etwas ablesen konnte, dieser
Vorgang jedoch nur aus der Innenperspektive des Pferdes verständlich
werden konnte, nahm Pfungst selbst die Position des Pferdes ein – eine
Form des Tier(isch)-Werdens und zugleich des Mensch(lich)-Werdens.
Aber
auch Konrad Lorenz’ berühmt gewordene Dohlen-Experimente führen eine
Version wechselseitigen Werdens vor Augen, bei denen der Körper des
Forschers ebenso auf dem Spiel des Experiments steht, wie der des
Tieres. Das Wissen, das dabei entsteht, ist fundamental auf dieses
Sich-Einlassen von beiden Seiten angewiesen, aus dem neue Differenzen,
die nicht länger in Opposition zueinander zu verstehen sind,
hervorgehen.
Die Fragen, die sich daraus ergeben sind u.a.
Folgende: Was ist ein adäquater Umgang mit (lebendigen) Realitäten, wie
Tieren und anderen Spezien? Wie lässt sich etwas über sie wissen oder in
Erfahrung bringen? Wie werden die dazu nötigen Perspektiven und
Perspektivwechsel vollzogen? Welche Rolle spielt dabei die
Artifizialität von Experimenten und was können sie von eingeübten zum
Teil aber vergessenen Praktiken lernen? Es gilt dieses Feld sowohl
anhand historischer Analysen als auch konzeptueller und methodologischer
Überlegungen auszuloten.