Gesetz der Serie. Zum Verhältnis von Wiederholung und Serie in Biologie, Literatur und Kunst
Program
Eine Häufung ähnlicher Unglücksfälle kommentieren Massenmedien mit der 
Wendung ‚Gesetz der Serie’ und suggerieren damit einen schicksalhaften 
Charakter von Zufällen. Doch was hat es mit dem ‚Gesetz’ auf sich, wenn 
erst die mediale Vermeldung die Serie herstellt?
Mit seiner Formel 
vom Gesetz der Serie hatte es der Biologe Paul Kammerer weder auf 
handfestes Unglück noch flüchtige Medienerzeugnisse abgesehen, sondern 
er wollte damit ein dem Kausalitätsprinzip der klassischen Physik 
gleichwertiges Grundprinzip erfassen. In einem lebenslangen Projekt 
gegen den blinden Zufall sammelte und systematisierte er Wiederholungen 
als nicht-kausale serielle Ereignisse, die er 1919 in seinem Buch Das Gesetz der Serie
 veröffentlichte. Unter den ersten Lesern war auch Sigmund Freud. 
Dauerbeschäftigt mit dem psychoanalytischen Grundbegriff der 
Wiederholung, mußte ihn das Unternehmen des „geistvollen Naturforschers“
 interessieren.
Es ist kein Zufall, dass Freud seine Beispiele für 
den zwanghaften Charakter der Wiederholung aus der Literatur, namentlich
 derjenigen E.T.A. Hoffmanns, genommen hat. Als grundlegendes 
literarisches Strukturelement markieren Wiederholungen phonetische, 
metrische, syntaktische, semantische und narrative Einheiten. Sie äußern
 sich vielgestaltiger als in Doppelgängern und (Leit-)Motiven, 
manifestieren sich als rhetorische Figuren, Homo- und Synonymie, Reim, 
Refrain, Spiegelung, Echo, Variation, Zitat, Wiederaufnahme oder 
Parodie. Inwiefern diese strukturwirksamen Elemente Serien bilden, 
bleibt als Frage stehen – wenn man Serialität nicht einfach mit 
Wiederholungskunst identifiziert, wie das Umberto Eco tut, sondern als 
Prinzip der Reihung versteht. 
Serien und Wiederholungen treten in 
ganz unterschiedlichen Wissensgebieten auf, sie zirkulieren und 
transferieren. Die Linguistik kennt Serien durch den russischen 
Formalismus mit seinen konstruktiven Reihen und die Strukturalisten mit 
ihren paradigmatischen und syntagmatischen Reihen. Naturforscher 
versuchten schon im 18. Jahrhundert, dem Gesetz des Lebendigen auf die 
Spur zu kommen, indem sie Tableaus als ‚Serien von Serien’ (Foucault) 
aufstellten, deren einzelne Elemente sie nach Differenzen und 
Ähnlichkeiten ordneten. Heute träumen Naturwissenschaftler von 
identischen Wiederholungen in Experimentalreihen, wie sie in den Serien 
der industriellen Produktion verwirklicht sind, obwohl gerade 
Abweichungen epistemisch aufschlussreich sind. Die ganze Palette von 
‚differenten Wiederholungen’ wird, nicht nur mit Gilles Deleuze, in der 
Kunst besonders sinnfällig, auch wenn es zu Überkreuzungen mit dem 
industriellen Paradigma oder arithmetischen und geometrischen Reihen 
kommt.
Für die kulturhistorische Wissensforschung stellen vieldeutige
 Begriffe und mannigfaltige Ausprägungen ein reiches epistemisches 
Reservoir dar: Figuren wie Serie und Wiederholung bündeln, brechen und 
streuen Wissen. Die Veranstaltung ‚Gesetz der Serie’ fokussiert auf 
formale Aspekte. Als Ausgangspunkt stellen sich Fragen wie: Wird die 
jeweilige Serie als ein Prinzip der Produktion (Herstellung, Verfahren) 
oder als ein Modus der Präsentation verstanden? Realisiert sich die 
Serie in Raum oder Zeit, und wie sind die betreffenden Räume und Zeiten 
charakterisiert? Zielen die einzelnen Elemente beziehungsweise 
Wiederholungen auf die Identität oder Identifizierung mit einem Prototyp
 oder arbeiten sie mit Differenzen und Diversitäten (gleichen, ähnlichen
 oder unterschiedlichen Merkmalen)? In jedem Fall fungieren Serien als 
Ordnungsmuster – doch wo steckt das Gesetz dieser Ordnung? In den Dingen
 selbst, in einer Kategorie des Verstandes, in einem bestimmten Diskurs 
oder einer Praxis? Was Serien ausmacht, und welche Rolle Wiederholungen 
spielen, wird an Beispielen aus Biologie, Literatur und Kunst untersucht
 und fall- und disziplinenübergreifend zu diskutieren sein.
DONNERSTAG, 7.12.2006
14.00
Sigrid Weigel (ZfL): Begrüssung
Christine Blättler (ZfL): Einführung
		
Taxonomische Kunststücke
Moderation: Christine Blättler (ZfL)
14.30
Alexandre Métraux (Mannheim): Anschauungsorte. Taxonomie, Textverwaltung und die Logik der Prosa bei Georges Perec
15.30
Cord
 Riechelmann (Berlin): Reden wie ein Hund - Pfeifen wie eine Maus - 
Lernen wie ein Dachs. Über abgebrochene Serien im Tier-Werden in Kafkas 
Erzählungen
16.30	Kaffeepause
Strategien des biologischen Experiments 
Moderation: Erik Porath (ZfL)
17.00
Ohad Parnes (ZfL): "Eine lange Reihe von Generationen". Serialität und Vererbung 1850-1920
18.00
Christina Brandt (MPIWG): Standardisierung und Reproduktion: Klone als technische Objekte in den Biowissenschaften (1910-1960)
20.00	Abendvortrag
Moderation: Michael Angele (netzeitung.de)
Henning Ritter (FAZ): Wieviel Zufall braucht der Mensch? Paul Kammerer und das Gesetz der Serie
FREITAG, 8.12.2006 
Ordnungsdiskurs und Kunst
Moderation: Sabine Flach (ZfL)
10.00
Janina Wellmann (MPIWG): Leben als Serie: Die embryologischen Arbeiten von Christian Heinrich Pander und Karl Ernst von Baer
11.00	Kaffeepause
11.30
Bergit Arends (London): Von der Dynamik der Ordnung
12.30
Elke Bippus (Zürich): Identifizierungen und Ephemerisierungen in serieller Kunst
Literarische Figurationen
Moderation: Sandro Zanetti (Basel)
15.00
Armin Schäfer (Weimar): Wiederholung und Serie in Goethes Morphologie
16.00	Kaffeepause
16.30
Elisabeth Strowick (ZfL): Nachkommenschaften. Stifters Serien
17.30
Dorothea Löbbermann (HU Berlin): Repräsentation und Serialität in den Romanen von Brett Easton Ellis 
20.00	Vortragskonzert
Gerhard Herrgott (Berlin): Wanderer-Fantasien. Franz Liszt und die Figuren des Begehrens
Ort: Mendelssohn-Remise im Geschichtsforum am Gendarmenmarkt, Jägerstraße 51, 10117 Berlin
