Zwillingsbilder. Röntgenfotografien von Skulpturen
Eine Ausstellung des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité in Kooperation mit dem Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin
Röntgenstrahlen machen das Innere sichtbar – nicht nur bei lebenden Körpern, sondern auch bei Kunstwerken. Skulpturen werden geröngt, um ihren Aufbau zu ergründen. Vor Transporten will man zum Beispiel wissen, ob von außen unsichtbare Risse oder unzureichende Befestigungen das Kunstwerk gefährden könnten. Anhand des Röntgenbildes kann man auch feststellen, welche Materialien verwendet wurden, ob Restaurierungen oder Veränderungen vorgenommen wurden und wieviel originale Substanz erhalten ist. Vor allem aber kann man erschließen, wie ein Bildwerk hergestellt wurde: Denn auch wenn ein Künstler die Außenseite perfekt gestaltet hat, bleiben unter der Oberfläche die Spuren seiner Arbeit erhalten.
Im Röntgenbild zeichnen sich diese Spuren als Strahlenschatten ab. So kann man zum Beispiel sehen, ob eine Bronzeskulptur im Stück gegossen oder aus Einzelteilen zusammengesetzt wurde. War der Guss perfekt oder musste nachgebessert werden? Ist eine Technik typisch für ihre Zeit, besonders innovativ oder ist das Kunstwerk gar eine spätere Fälschung? Das Spurenlesen erfordert also nicht nur große Erfahrung mit den bildgebenden Verfahren der Radiologie, sondern auch ein Wissen von den technischen Möglichkeiten, künstlerischen Fähigkeiten und persönlichen Vorlieben eines Künstlers.
Abgesehen von den diagnostischen oder forensischen Möglichkeiten der Röntgentechnik entstehen so aber auch Bilder von faszinierender Schönheit und Ausdrucksfähigkeit. Als ästhetisches Objekt hat das Röntgenbild seinen ganz eigenen Reiz, der seine Wirkung auch mal im Gegensatz zur Ästhetik des eigentlichen Kunstwerkes entfalten kann. Es ist ein Zwillingsbild – ähnlich, aber doch eigenständig und individuell.
Die Ausstellung im Präparatesaal des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité gewährt mit ca. 20 Radiografien intime Einblicke in Bildwerke aus Wachs, Holz, Terrakotta, Marmor und Bronze. Die Bilder sind Leihgaben der Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin, dem J. Paul Getty Museum in Los Angeles und in Malibu, Kalifornien, dem Museum of Fine Arts in Boston, Massachusetts, und dem Straus Center for Conservation & Technical Studies der Harvard Art Museums, Cambridge, Massachusetts, und werden auf Original-Röntgenbildbetrachtern präsentiert.