Modernisierung ohne Moderne
Das Zentralinstitut für Literaturgeschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR (1969–1991)
„Zentralisierung“ und „Wissenschaft als Produktivkraft“ – unter Losungen wie diesen begann die politische Führung der DDR am Ende der sechziger Jahre – parallel zu ‚Prag’ und ‚Paris’ – eine schier atemberaubende Modernisierungskampagne in Gang zu setzen: Reformdruck auf ‚Basis’ und ‚Überbau’, also auch auf den gesamten Universitäts- und Akademiebetrieb.
Theoria cum praxi war die für Natur- und Geisteswissenschaften gleichermaßen postulierte und an dem 1969 gegründeten Zentralinstitut für Literaturgeschichte konsequent verfolgte Maxime – um vieles konsequenter, wie sich erweisen sollte, als von ‚oben’ erwartet und geduldet. Das belegen die am ZIL erarbeiteten Publikationen, allen voran Gesellschaft – Literatur – Lesen, jener in der DDR nicht nur theoretisch als Demokratisierungsimpuls begriffene Beitrag zur internationalen Diskussion um die Rezeptionstheorie. Das zeigt auch die Geschichte des Instituts – ein in dieser Art bis heute in der deutschen Wissenschaftslandschaft einzigartiges Experiment. Hier nämlich wurde über zwanzig Jahre lang (bis 1991) praktiziert, was im vereinten Deutschland noch immer umstritten ist: außeruniversitäre Forschung in den Geisteswissenschaften. Der Band unternimmt den Versuch, diese Geschichte zu rekonstruieren. Auch das in Form eines Experiments: Beteiligte erinnern sich, ohne um die Äußerungen der jeweils anderen zu wissen.
So ergeben sich nicht nur interessante Spiegelungen und Brechungen, vielmehr eröffnet sich ein facettenreiches und dadurch um so aufschlußreicheres (wissenschafts-)geschichtliches Panorama.