Unterbrechungen
Program
ZwischenRäume ist eine Veranstaltungsreihe, die dem Austausch und der Zusammenarbeit folgender Institutionen dient:
Bauhaus Universität Weimar (Fakultät Medien)
Freie Universität Berlin (Institut für Deutsche und Niederländische Philologie)
Humboldt-Universität zu Berlin (Institut für deutsche Literatur)
Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte
Zentrum für Literatur- und Kulturforschung
Programm
14:00-16:00
Herbert Kopp-Oberstebrink (ZfL):
Bruch, Streit, Krieg. Denkfiguren der Diskontinuität in der deutschen
Philosophie- und Wissenschaftsgeschichtsschreibung um 1900
Vera Knolle (Bauhaus Universität Weimar): Gebrochene Kontinuität. Die Insistenz des Bergsonismus
16:30-18:00
Christina Vagt (Bauhaus Universität Weimar): Springende Natur. Heidegger und Heisenberg zur Frage der Technik
Max Stadler (MPIWG): Biophysikalisches Doppelleben. Zur (Nicht)Zaesur des Informationsdiskurses
Unterbrechungen
Die
vorerst letzte Veranstaltung dieser Reihe beginnt mit einem Rückblick:
"Unter den großen Kontinuitäten des Denkens, unter den massiven und
homogenen Manifestationen eines Geistes oder einer kollektiven
Mentalität, unter dem hartnäckigen Werden einer Wissenschaft, die danach
trachtet zu existieren und von Anfang an ihr Ende zu finden, unter dem
Beharren einer Gattung, einer Form, einer Disziplin, einer theoretischen
Aktivität, sucht man jetzt die Auswirkung der Unterbrechungen zu
entdecken." Wir schreiben das Jahr 1969. In der Einleitung zu seiner Archäologie des Wissens
beobachtete Michel Foucault eine Verlagerung der Aufmerksamkeit in "den
Disziplinen, die man Ideengeschichte, Wissenschaftsgeschichte,
Philosophiegeschichte, Geschichte des Denkens und auch
Literaturgeschichte nennt". Von den großen Einheiten, den "Epochen" und
"Jahrhunderten" habe man sich abgewandt, um "Phänomene des Bruchs" –
"Unterbrechungen" – in Augenschein zu nehmen. Deren Rolle und Bedeutung
seien allerdings sehr unterschiedlich: "epistemologische Akte" bei
Bachelard, "Verschiebungen und Veränderungen von Begriffen" bei
Canguilhem, "radikale Brüche" zwischen der Gegenwart einer Wissenschaft
und ihrer ideologischen Vergangenheit bei Althusser.
Woher diese
mehrdeutige Hinwendung zum Diskontinuierlichen kommt, bleibt dabei
weitgehend offen. Ist sie das Resultat "eine[r] überlegte[n] Operation
des Historikers"? Oder handelt es sich um das Ergebnis einer
historischen "Beschreibung"? Oder weist die Verlagerung von
Aufmerksamkeit auf ein performatives Element zurück und beruht
ihrerseits auf dem dezidierten Bruch mit einer als überholt eingestuften
Form von Geschichtsschreibung?
Foucault lässt dies in der
Schwebe und lädt damit zu einer neuerlichen Betrachtung ein. So wäre
etwa aus Sicht einer Ideengeschichte, die heute wieder Aktualität
beansprucht, auf die Kontinuität des Diskontinuitätsgedankens in der
Geschichte des modernen Wissens zu verweisen, beispielsweise durch
Bezugnahme auf eine Passage in der Critischen Dichtkunst (1740)
von Breitinger: "das Falsche, Unwahrscheinliche oder in gewisser
Absicht Unmögliche muß dem menschlichen Verstand, so bald es
wahrgenommen wird, natürlicher Weise Widerwillen und Eckel verursachen,
weil es die angebohrne Wissens-Begierde des Menschen in ihrem Verlangen
aufziehet, und den Fortgang in der Erkenntniß unterbricht".
In
einer medien- und technikgeschichtlichen Fortführung der Diskursanalyse
wären dagegen jene Vorrichtungen zur Geltung zu bringen, die auf
handfeste Weise dem Zweck der Unterbrechung dienten: von der
Stroboskopie der 1930er Jahre, die Bachelard in La dialectique de la durée
zur Erläuterung von perzeptiven Diskontinuitäten aufruft, über die
"Unterbrecher" in den Laboratorien der Physik und Physiologie des 19.
Jahrhunderts bis zurück zur traditionellen Hemmung der Räderuhr. Erst
durch diese Ansammlung von technisch realisierten Diskontinuitäten
scheint jene neue Form der Geschichtsschreibung möglich geworden zu
sein, deren Charakterisierung Foucault an den Anfang seines Buches
stellt. Tatsächlich wird dies dort greifbar, wenn davon die Rede ist,
dass der Begriff der Unterbrechung, der Diskontinuität insofern ein
Paradox darstellt, als "er zugleich Instrument und Gegenstand der
Untersuchung" ist.
Paradox ist aber auch die Parallelität der
Befunde: Sowohl die Ideen- wie auch die Technikgeschichte verweisen in
dieser Skizze auf eine longue durée der Unterbrechungen. Wäre
demzufolge also eine erneute Verlagerung der Aufmerksamkeit erforderlich
– eine Verlagerung, die sich vielleicht in noch entschiedenerer Weise,
als es Foucault getan hat, vom Homogenen und Kollektiven abwendet, um
sich dem Heterogenen und Konkreten zu widmen? Spätestens an dieser
Stelle wird sich der Rückblick, der am Anfang dieser
Unterbrechungsveranstaltung steht, in eine Vorausschau, einen Ausblick
verwandelt haben.