Zeichnung von vier verschiedenfarbigen Augen auf vergilbtem Papier. Die Augen sind mit A, B, C und D unterschrieben, am linken oberen Bildrand steht »Plate III«, mittig über den Augen »Eyes«.

Metaanthropologie. Eine epistemische Poetik der ethnografischen Form

Seit den späten 1970er Jahren werden insbesondere in der von der US-amerikanischen Anthropology geprägten Writing-Culture-Debatte verstärkt texttheoretische Ansätze rezipiert. Überlegungen zu den epistemologischen Voraussetzungen anthropologischen Wissens sind seitdem von der Frage ethnografischer Repräsentation nicht mehr zu trennen. Weitgehend unberücksichtigt blieb dabei bislang, in welch erheblichem Maße die Debatten um ethnografische Repräsentation auch von der Geschichtstheorie beeinflusst sind. So fanden bereits in der Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts erbitterte Auseinandersetzungen über den Stellenwert der Sprache und insbesondere des Erzählens statt, die durch die Rezeption von Hayden Whites Metahistory (1972) auch Eingang in jüngere Diskussionen in der Anthropologie gefunden haben.

Das Promotionsprojekt arbeitet zunächst diesen theoriegeschichtlichen Zusammenhang zwischen Geschichts- und Ethnografietheorie auf, um dann nach seinen Implikationen zu fragen: Denn obwohl Hayden White unter den Akteur*innen der Writing-Culture-Debatte weit rezipiert wurde und man sich geschichtstheoretischer Theoreme bediente, gibt es bislang keine vergleichbar systematische Darstellung zur Ethnografischen Repräsentation im 20. Jahrhundert. Diese hat nicht zuletzt zu berücksichtigen, dass der Stellenwert der Erzählung in Ethnografien grundsätzlich anders zu bewerten ist als in der Geschichtsschreibung. Nach linguistischen Kriterien dominieren in der Ethnografie nämlich beschreibende, in der Geschichtsschreibung hingegen erzählende Texttypen.

Im Anschluss an White und die historischen Beiträge zur ethnografischen Repräsentationskritik entwickelt das Projekt eine entsprechende Systematik. Dafür beruft es sich auf die strukturalistische Renaissance der rhetorischen Figurenlehre (Roman Jakobson, Claude Lévi-Strauss, Kenneth Burke, Stephen Pepper), die auch Whites Überlegungen zugrunde liegt. Die Grundidee dieser Ansätze ist die Vorstellung, dass nicht nur figurative Sprechweisen auf rhetorischen Figuren basieren, sondern dass auch andere Arten der Sprachverwendung nach metaphorischen Prinzipien operieren. In diesem erweiterten Sinne sind auch Geschichtsschreibung und Ethnografie poetischer Natur. Wurden bislang die Konturen dieser Poetiken mindestens in Linguistik, Anthropologie, Philosophie und Geschichtsschreibung herausgearbeitet, entwirft das Promotionsprojekt eine korrespondierende Systematik für die ethnografische Repräsentation.

 

Abb. oben:
Vergleichsschablonen zur Bestimmung der menschlichen Augenfarbe. In: Notes and Queries on Anthropology. Third Edition. Edited for the British Association for the Advancement of Science by John George Garson and Charles Hercules Read. London: The Anthropological Insitute 1899, S. 17

Veranstaltungen

Vortrag
13.07.2023 · 15.15 Uhr

Andreas Lipowsky: ›Writing against Culture‹. Ethnografie als Manifesto bei Lila Abu-Lughod

Freie Universität Berlin, Habelschwerdter Allee 45, Raum JK 31/121, 14195 Berlin

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Vortrag
09.06.2023 · 09.00 Uhr

Andreas Lipowsky: »To the ethnographer, the bow and arrow is a species«. The legacy of natural history in late Victorian anthropology

Faculty of Arts, Masaryk University, Arne Novaka 1, 60200 Brno

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Vortrag
27.09.2022

Andreas Lipowsky: Plunges into the lives of the natives. Hidden Continuities of a body-centric anthropology

Jagiellonen-Universität Kraków

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