Programmbereich Weltliteratur

Gegenwärtig steht der Begriff der ›Weltliteratur‹ im Zentrum einer internationalen Debatte über ›globale Literaturen‹. Darunter wird vor allem die nicht länger national organisierte Literatur der Gegenwart verstanden. Für die Literaturwissenschaften hat das vor allem die Verabschiedung von der Praxis des Vergleichens distinkter, einzelsprachlich unterschiedener Nationalliteraturen zur Konsequenz. Die Aufgabe besteht nun in der Erschließung der Verflechtungs- und Trennungsgeschichten der Literaturen und ihrer Umfelder. Während die eurozentrischen Implikationen des alten, von Goethe geprägten Weltliteraturbegriffs vielfach hervorgehoben wurden, hat man zwischenzeitlich auch versucht, diesen Begriff gegen die Kollateralschäden der Globalisierung zu mobilisieren und so positiv an seine kosmopolitische Tradition anzuschließen. Im derzeit vielerorts favorisierten Begriff der ›Weltkultur‹ geht es nicht nur um die Beschreibung einer durch Globalisierung veränderten Welt, sondern auch um kritische Intervention. So strebt etwa das Welterbe-Programm der UNESCO eine Art globale Normalverteilung des kulturellen Erbes der Menschheit an.

Der Begriff der ›Weltliteratur‹ erschöpft sich jedoch nicht in seinen aktuellen Bedeutungen, sondern impliziert breitere historische und systematische Kontexte. Er gehört in eine Reihe mit anderen Welt-Komposita, die neuzeitlich wichtig wurden. Die kopernikanische Wende hatte den Kosmos, die moderne Wissenschaft die Schöpfungsordnung und die Revolution die politische Ordnung infrage gestellt. Weltbegriffe stellen den Versuch dar, das Ganze einer Wirklichkeit zu adressieren, deren Abstraktheit sich anschaulichem Begreifen und Beschreiben zunehmend entzieht. In der ›verweltlichten‹ Welt der Neuzeit wird die Wirklichkeit und die Stellung des Menschen in ihr zum Problem. In der Folge treten wissenschaftliche Weltmodelle und vorwissenschaftliche Weltbilder immer weiter auseinander. Die ›Weltanschauungen‹ des 19. und 20. Jahrhunderts greifen dabei häufig auf vormoderne Formen zurück, um Orientierung zu ermöglichen. Mythische Bilder und Erzählungen von Ursprüngen und Endzeiten tauchen wieder auf. Religiöse Symboliken und Praktiken gewinnen etwa im nationalen Gedenken neu an Attraktivität. Solche weltanschaulichen Orientierungsangebote sind nicht einfach Rückfälle in überholte Anschauungen, sondern stellen komplexe Dynamiken dar, in denen sich alte und neue Deutungsmuster verschränken. Das wird besonders virulent in Krisensituationen wie den gegenwärtigen Debatten zu den Grenzen Europas, die sowohl vom Verlust der Selbstverständlichkeit des Nationsbegriffes geprägt sind als auch von den Erbschaften der großen Imperien im Osten Europas.

Nur als bestimmte Denkformen in spezifischen Medien ist die Geschichte von Weltbildern erforschbar. Weil Weltbilder auf Mythen und Metaphern, Narrative und Rhetorik angewiesen sind, ist die Literaturforschung hier besonders gefordert. Oft ist der Literatur die Aufgabe zugesprochen worden, durch Bildung Orientierung in einer sich verändernden Welt zu bieten. Das ist eine allmählich fragwürdig gewordene und jedenfalls nicht ihre einzige Funktion. Zu einem eigenen Modus von Weltgestaltung wird Literatur, wenn sie die verschiedenen Deutungsmuster der Beobachtung von Welt ihrerseits beobachtet und kritisch reflektiert. Auch und gerade das ist mit dem Begriff der ›Weltliteratur‹ in der kulturwissenschaftlichen Erforschung von vergangenen oder künftigen Weltmodellen präsent zu halten.

Laufende Forschungsprojekte

Abgeschlossene und ehemals in diesem Programmbereich bearbeitete Projekte

(Auswahl, chronologisch absteigend sortiert nach Beendigungsjahr)