
Anpassung und Radikalisierung. Dynamiken der Populärkultur(en) im östlichen Europa vor dem Krieg
Das Verbundprojekt untersucht Entwicklungsdynamiken in den Populärkulturen in Belarus, Polen, Russland, Ukraine und Ungarn seit den 1980er Jahren in interdisziplinärer und vergleichender Perspektive. Zusammen mit dem Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa in Leipzig (GWZO), dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) und der Professur für Slavische Literatur- und Kulturwissenschaft (Schwerpunkt Polonistik) an der Universität Potsdam werden unter Federführung des ZfL in einer Reihe von Fallstudien unterschiedliche Phänomene und Genres der Populärkultur erforscht. Die Teilprojekte widmen sich aus literaturwissenschaftlicher, historischer sowie kultur- und medienwissenschaftlicher Perspektive populärkulturellen Phänomenen und Figuren in den verschiedenen Genres: von Literatur, Film und bildender Kunst über Fernsehserien, Volks- und Popmusik, Videos, Memes, Wandmalerei und Graffiti bis zum Politjournalismus und den sozialen Medien. Die vergleichende interdisziplinäre Untersuchung populärkultureller Produkte und Trends verspricht neue Erkenntnisse über deren Dynamiken vom euphorischen Aufbruch der Demokratisierung in den 1980er und 1990er Jahren bis zum gegenwärtigen Erstarken nationalistischer Ideologien und rechtspopulistischer bzw. autoritärer politischer Strukturen. Die Anlage des Projekts erlaubt es zudem, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den untersuchten spät- und postsozialistischen nationalen Populärkulturen und ihrer Entwicklung darzustellen.
Als Indikator und Booster gesellschaftlicher Stimmungen kommt der Populärkultur eine Schlüsselrolle beim Verständnis gesellschaftlich-politischer Prozesse zu. In den Ländern Ost- und Ostmitteleuropas erfüllt die Populärkultur seit den 1980ern zudem spezifische Funktionen: Sie diente der Vermittlung westlicher Trends, Bilder und Erzählungen genauso wie der Neudefinition nationaler, religiöser oder auch staatssozialistischer Symboliken und Narrative. Im Hinblick auf Gesellschafts-, Familien-, Heimat- und andere Identitätsmodelle kann sie Vorstellungen von Modernität, Zeitgeist und materiellem Wohlstand mit sowohl progressiven als auch konservativen Werten verknüpfen. So ist Populärkultur Vehikel von kollektiven Wünschen und Träumen, ebenso wie von latenten Frustrationen und Ängsten. Sie kann zur subkulturellen, oppositionellen bzw. dissidentischen Radikalisierung, aber auch zu eher unkritischem Konsumverhalten und zur Normalisierung von nationalistischen Diskursen beitragen. Das Verbundprojekt untersucht insbesondere, welche ästhetischen und medialen Mittel populärkulturelle Produkte und Praktiken nutzen und wie sie politisch wirkmächtig werden und so die gesellschaftlichen Debatten in den untersuchten Kulturen prägen. Um einer einseitigen Betrachtung von Populärkultur als einer Form von Gegenkultur und ›Widerstand‹ gegen kulturelle Hierarchien und Machtstrukturen zu entgehen, widmet sich das Projekt auch ihren problematischen Potenzialen. Diese sind nicht nur in der Kommerzialisierung zu suchen, sondern auch in der populistischen Radikalisierung und diskursiven Anpassung an politische Machtverhältnisse.
Über die Arbeit in den einzelnen Teilprojekten hinaus wird im Rahmen des Verbundprojekts ein internationales Forschungsnetzwerk aufgebaut, das darauf abzielt, ein besseres allgemeines Verständnis der generellen Dynamiken und Funktionsweisen von Populärkultur unter den Bedingungen von Digitalisierung und Globalisierung zu gewinnen.
Abb. oben: Festival »Przystanek Woodstock« 2016, Kosztrzyn nad Odrą, © Jakkolwiek, Lizenz: CC BY-SA 4.0 Deed
Veranstaltungen
Matthias Schwartz: »Wie die Kosaken«. Volodymyr Zelenskyj als Schauspieler, Komiker und Populist
Universität Potsdam, Raum 1.11.2.27
Matthias Schwartz: Das Ewige Katyn. Der Streit um die Geschichte in polnischer Populärkultur
Universitätsbibliothek Bochum, Universitätsstr. 150, 44801 Bochum
Viktor Martinowitsch: »Nacht«
Museum Folkwang, Museumsplatz 1, 45128 Essen
Lyrik-Salon mit Volha Hapeyeva
Altes Gymnasium Neuruppin, Schulplatz
Literature about WWII: Constructing Memory
FernUniversität in Hagen, Campus Berlin, Kurfürstendamm 21, 10719 Berlin
Nacht der unerschossenen Gedichte. Eine Begegnung mit ausgelöschter und gegenwärtiger belarusischer Literatur
Haus für Poesie, Knaackstr. 97, 10435 Berlin
Nina Weller: Partizanstvo und Protest. Figurationen des Widerstands in der belarusischen Kultur
Universität Würzburg