Jahrestagung des ZfL
05.11.2009 – 07.11.2009

Das Leben vom Tode her. Zur Religions-, Wissenschafts- und Kulturgeschichte einer Grenzbestimmung

Ort: ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, 3. Et., Trajekte-Tagungsraum 308
Kontakt: Katrin Solhdju

Programm

Donnerstag, 05.11.2009

15.00–16.30
Sigrid Weigel (ZfL): Eröffnung

Darstellbarkeit/Undarstellbarkeit: Zum Nachleben der Toten
Moderation: Ulrike Vedder

Thomas Macho (HU Berlin): Mein Tod im Bild. Zur Suche nach dem unmöglichen Vorbild

17.00–19.00
Kristin Marek (Bochum): Der Tod als Bildermacher. Für eine thanatologische Bildtheorie

Daniel Weidner (ZfL): »Bis heute kennt niemand sein Grab«. Moses’ Tod und sein Nachleben

19.30
Robert P. Harrison (Stanford): The Secular Afterlife of the Dead
anschl. Gespräch mit Thomas Macho

Freitag, 06.11.2009

Leben/Schuld: Religions- und philosphiegeschichtliche Perspektiven

Moderation: Sigrid Weigel

10.00–12.00
Martin Treml (ZfL): »Getauft in Jesu Christi Tod«. Über Leben in den paulinischen Briefen

Nitzan Lebovic (Sussex/Jerusalem): The Sanctification of the Name. A German-Jewish Life-Philosophy

12.30–13.30
Samuel Weber (Evanston): Das Leben, die Lebenden, das Lebendige. Articles – of Life and Death

Toderklärung/Wiederbelebung: Passagen zwischen Leben und Tod
Moderation: Katrin Solhdju

15.00–16.00
Henri Atlan (Jerusalem/Paris): Living and Non-living versus Life and Death

16.30–18.30
Cornelius Reiber (Princeton): Phoenix aus dem Wasser. Zur Geschichte der Wiederbelebung im 18. Jahrhundert

Tatjana Petzer (ZfL/Konstanz): Auferweckung als Programm. Entgrenzungen des Lebens in der Slavia Orthodoxa

19.00
Claudia Wiesemann (Göttingen): Wer stirbt wann und wie? Historische Einsichten

Samstag, 07.11. 2009

Körper/Organismus: Zur Reichweite des Lebendigen

Moderation: Ulrike Vedder

10.00–12.00
Kerstin Palm (Wien): Historische Lebensbegriffe und ihre Geschlechterimaginationen. Vom epigenetischen Vitalismus zum kybernetischen Postmechanismus

Katrin Solhdju (ZfL): Tote Körper und lebende Organe. Experimente an den Grenzen des Lebendigen

12.30–13.30
Günther Spahn (Zürich/Klinik Öschelbronn): Vom Wachsen und Sterben. Über die Dualität des Lebens aus der Sicht eines Palliativmediziners

Lebenstrieb/Todesschwelle: Kulturwissenschaftliche Perspektiven
Moderation: Katrin Solhdju

15.00–16.00
Sigrid Weigel (ZfL): Jenseits des Todestriebs. Freuds Lebenskonzept an der Schwelle von Natur- und Kulturwissenschaft

16.30–18.30
Falko Schmieder (ZfL): Leben jenseits des Lebens. Zur Transformation der Beziehung von Leben und Tod nach Auschwitz

Ulrike Vedder (HU Berlin): Lebensende und Literatur. Ästhetik des Übergangs

19.00
Gesprächsrunde
Ungleichzeitigkeiten. Zum aktuellen Grenzverlauf zwischen Leben und Tod
mit Peter J. Bräunlein (Bremen), Gesa Lindemann (Oldenburg), Günther Spahn (Zürich/Klinik Öschelbronn), Oliver Tolmein (Hamburg)
Moderation: Falko Schmieder, Ulrike Vedder

anschl. Finissage

Ausgangsbeobachtung ist die zunehmende Manipulierbarkeit des Grenzverlaufs zwischen Leben und Tod. Immer effektivere, hochtechnologisierte intensivmedizinische Eingriffsformen produzieren immer mehr Zustände, die sich zwischen Leben und Tod ansiedeln. Solche ›Zonen‹ führen – auch angesichts des soziokulturellen und demographischen Wandels – zu einer deutlichen Politisierung des Sterbens und des Todes und werfen das Problem auf, wie mit ihnen umzugehen ist: nicht nur epistemologisch, sondern auch in medizinischen oder juristischen Entscheidungen. Die Grenze zwischen Leben und Tod ist also einerseits verschiebbar und definitorisch unscharf, andererseits aber absolut, opak und von großer Wucht. Diese Doppelbestimmung tritt heute besonders deutlich hervor; allerdings ist die Grenze zwischen Leben und Tod immer prekär gewesen. Zwar ist sie von der europäischen Moderne mit ihrer Todesamnesie und ihrer Entwertung der Toten als absolute Grenze gefasst und naturalisiert worden, doch im Blick auf die Gegenwart und auf die Vormoderne sowie auf andere Lebensbegriffe, Todeskonzepte und deren Modernisierungen stellt sie sich anders dar.

Die Tagung fragt aus religions-, wissenschafts- und kulturgeschichtlicher Perspektive – danach, was es heißt, das Leben vom Tode her zu denken und zu praktizieren. Dazu soll den unterschiedlichen Genealogien jener Praktiken und definitorischen Anstrengungen sowie jener Symbolsysteme, Kulturtechniken und Narrative nachgegangen werden, die die prekäre Grenze zwischen Leben und Tod hervorgebracht hat. In welchen Formationen ist das Leben vom Tode her gedacht worden – als ›immer schon‹ auf ein Jenseits gerichtetes weltliches Leben; als kreatürlich-sterbliche, dem Tod entgegengesetzte Vitalität; als philosophische Herausforderung eines Sterbenlernens? Wie haben sich in der Moderne im Prozess einer fortschreitenden Säkularisierung die Zuständigkeiten solcher Grenzziehungsaktivitäten verändert? Wie haben sich parallel dazu die Praktiken rund um die Grenze zwischen Leben und Tod gewandelt und damit nicht zuletzt ihr konkreter Verlauf selbst? Wie also wurden und werden in verschiedenen Kulturen die Grenzen zwischen Leben und Tod gezogen und gestaltet? Wie sind gegenwärtig die Ungleichzeitigkeiten zwischen medizinisch-technischer Entwicklung, gesetzgeberischen Maßnahmen, Kulturtechniken, philosophisch-bioethischen Konzeptionen und moralischen Übereinkünften rund um den Tod zu fassen – und wie das Verhältnis zwischen den Lebenden und den Toten?

Medienecho

01.04.2010
Das Leben vom Tode her

Zur Religions-, Wissenschafts- und Kulturgeschichte einer Grenzbestimmung. Bericht von Alexander Schwieren, in: Weimarer Beiträge 2 (2010), 305–309

25.03.2010
Das Leben vom Tode her

Bericht von Evke Rulffs, in: Zeitschrift für Germanistik 2 (2010), 433–435

10.11.2009
Der demokratische Suizialismus

Wirtschaft als das Leben selbst. Artikel von Helmut Höge über die Jahrestagung und den Vortrag von Thomas Macho, in: junge Welt vom 10.11.2009

Publikationen

Katrin Solhdju, Ulrike Vedder (Hg.)

Das Leben vom Tode her
Zur Kulturgeschichte einer Grenzziehung

Trajekte-Buchreihe
Wilhelm Fink Verlag, München 2015, 207 Seiten
ISBN 978-3-7705-5746-2