Formen des Ganzen
Ganzheitsvorstellungen waren den Geisteswissenschaften in den letzten Jahrzehnten meist suspekt. Mit Blick auf die ›totalitär‹ genannten Regime des 20. Jahrhunderts ist diese Scheu vor dem Ganzen gut nachvollziehbar. Doch ›das Ganze‹ hat sich längst zurückgemeldet: im Diskurs der Globalisierung und in globalen Phänomenen wie dem Klimawandel und der Migration, in der Rückkehr der Religionen, des Volkes und der Nation, in Debatten um universelle Werte und Rechte, aber auch in Gestalt ›ganzheitlicher‹ Ansätze in Medizin und Psychologie. Als Big Data schließlich steht das Ganze virtuell und digital zur Verfügung. Es gibt also dringlichen Anlass, dem Ganzen gerade jetzt nachzuforschen.
Aber wie rückt man das Ganze in den Blick? Welche Perspektiven stehen zur Verfügung? Weil mit dem Ganzen Möglichkeiten und Grenzen seiner Darstellung verbunden sind, werden im Mittelpunkt der diesjährigen ZfL-Jahrestagung FORMEN DES GANZEN stehen: epistemische, symbolische, politische und nicht zuletzt literarische. Besteht das Ganze notwendig aus Teilen, und wie lassen sich Teile gestalten, damit sie glaubhaft auf eine ihnen übergeordnete Einheit verweisen? Unter welchen ästhetischen oder medialen Bedingungen lässt sich das Ganze überhaupt fixieren? Ist es prinzipiell figurierbar und lässt es sich auf einen Blick erkennen, oder erschließt es sich erst über mühsam kanalisierte Prozesse des Verstehens? Wie haben literarische Gattungen, etwa Roman, Epos oder das Gedicht, im historischen Prozess auf diese Herausforderungen reagiert? Und welche Formen nimmt das Ganze in wissenschaftlichen Diskursen oder Disziplinen an, deren modernes Selbstverständnis von Vorstellungen einer systematischen Einheit ihrer Gegenstände oft emphatisch abhängt? Was ist schließlich der politische Untergrund des Ganzen, seiner bewussten Organisation, seiner rhetorischen Prätension oder kalkulierten Verfehlung in Literatur, Geschichte und Recht?
Programm
Mittwoch, 05.12.2018
Ort: ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, 3. Et., Trajekte-Tagungsraum
15.00
Eva Geulen/Claude Haas (ZfL): Begrüßung und Einführung
15.30–17.30
Moderation: Claude Haas
- Inka Mülder-Bach (LMU München): (Un-)Gestalten des Ganzen. Welt – Staat – Mensch im »Mann ohne Eigenschaften«
- Marian Füssel (Göttingen): Die Ganzheit der Geschichte und die Vielheit der Geschichten
20.00 Abendvortrag in Kooperation mit dem ICI Berlin Moderation: Eva Geulen Leider musste der Vortrag von Bruno Latour abgesagt werden. |
Donnerstag, 06.12.2018
Ort: ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, 3. Et., Trajekte-Tagungsraum
11.00–12.00
Moderation: Patrick Eiden-Offe
- Der Vortrag von Niklaus Largier muss leider entfallen.
- Anselm Haverkamp (Frankfurt O./New York): Pars pro toto. Das Sein im Ganzen
13.30–15.30
Moderation: Barbara Picht
- Ingo Meyer (Münster): Ästhetische Setzung. Georg Lukács' frühe Annäherungen
- Robert Matthias Erdbeer (Bielefeld): Erspielte Form
16.00–18.00
Moderation: Georg Toepfer
- Christoph Möllers (HU Berlin): Das unvermeidliche Ganze. Über Holismus und Fragmentierung im juristischen Diskurs
- Leander Scholz (IKKM Weimar): Friedrich Ratzel und die Politik des Lebensraums
19.00
Lesung von Georg Klein aus »Miakro«
Moderation: Stefan Willer
Freitag, 07.12.2018
Ort: ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, 3. Et., Trajekte-Tagungsraum
10.00–12.00
Moderation: Daniel Weidner
- Andrea Polaschegg (Siegen): Das Ganze im Fluss. Medienpoetische Überlegungen zum Verhältnis von Literatur und Holismus
- Michael Gamper (FU Berlin): Das Ganze der Prosa
13.30–15.30
Moderation: Eva Geulen
- Carlos Spoerhase (Bielefeld): Theorie der Teile
- Justus Fetscher (Mannheim): Teils – teils. Hemisphären und Universen des Romans im Schatten globaler Zugriffe
16.00–17.00
Moderation: Eva Axer
- Der Vortrag von Julika Griem muss leider entfallen.
- Rembert Hüser (Frankfurt a.M.): Das Ganze, sportlich gesehen