Novina Göhlsdorf: Tiefgreifende Störung oder Existenzweise der Zukunft? Autismus zwischen Pathologisierung und Idealisierung
Vortrag im Arbeitskreis Analytische Psychologie am C.G. Jung-Institut Berlin
Autismus ist eine Diagnose der Gegenwart. Die Zahl diagnostizierter Fälle steigt, er wird immer intensiver beforscht und ist ein öffentliches Thema geworden. Als Diskursfigur gehört ›der Autist‹ heute zu Alltagssprache und Populärkultur. Oft wird er in üblicher Tradition als pathologisches Mängelwesen inszeniert, dem »normale« Subjektivität und »gesunde« Beziehungen fehlen. Zugleich wird er vermehrt als ›Neuer Mensch‹ des 3. Jahrtausends gefeiert, der bestens vorbereitet sei auf künftige Kommunikationsformen und Technologien. Manche begreifen ihn als Angehörigen einer neuartigen Spezies, die dazu anregt, menschliche Verhältnisse zu Tieren, Dingen oder Maschinen fundamental zu überdenken. In einer kulturwissenschaftlichen Betrachtung aktueller Diskurse über den Autismus wird gezeigt: Er ist vor allem eine Diagnose unserer Zeit, sofern er einen Blick auf gegenwärtige Gesellschaften und ihre Selbstverfassungen ermöglicht.
Novina Göhlsdorf ist Kulturwissenschaftlerin und Doktorandin mit dem Projekt ›Total Strangers‹? Die Figur des Autisten in Wissenschaft und Literatur.