Mittwochsvortrag
03.12.2014 · 19.00 Uhr

Wolfgang Schivelbusch (Berlin): Die Urkonsumtion. Vom wechselseitigen Verzehr der Dinge und der Menschen

Ort: ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, 3. Et., Trajekte-Tagungsraum

Programm

Wie mit Urproduktion das Herauslösen der Arbeitsmaterialien aus der Natur zum Zweck ihrer Verarbeitung in nützliche Güter bezeichnet wird, so wird hier Urkonsumtion verstanden als materiell-physischer Prozess, der sich zwischen dem Benutzer/Verbraucher und dem Ge-/Verbrauchsgegenstand abspielt. Es ist ein Prozess der Aufnahme des zuvor in den Gegenstand hineingearbeiteten Nutzens durch den Organismus des Konsumenten. Das physiologische Urmodell ist der Verdauungs- oder Assimilationsprozess. Wechselseitig ist dieser assimilierende Verzehr der Konsumtion darin, dass dabei nicht nur die Nutz-Substanz des Gutes auf den Verbraucher übergeht, sondern zugleich – und sichtbar in Form der ›Gebrauchsspuren‹ – ein Energiefluss in umgekehrter Richtung verläuft. Der Gegenstand ›saugt‹ wie ein Schwamm oder wie Balzac’s Peau de Chagrin Lebenskraft des Benutzers in sich auf. Er verpersönlicht sich im gleiche Maße wie der Konsument sich durch die Assimilation des Gegenstands versachlicht. Es gelten die gleichen Gesetze wie in der vom jungen Marx beschriebenen Vergegenständlichung und Entfremdung des Menschen in der Arbeit.

Moderation: Ernst Müller (ZfL)

Wolfgang Schivelbusch ist ein deutscher Kulturhistoriker, Publizist und promovierter Literaturwissenschaftler. Seit 2014 ist er Senior Fellow am ZfL. Seine in mehrere Sprachen übersetzten Bücher beschäftigen sich mit Politik, Kultur, Gesellschaft und Mentalitätsgeschichte und wurden vielfach ausgezeichnet. So erhielt Schivelbusch u.a. den Deutschen Sachbuchpreis (1978, für Geschichte der Eisenbahnreise), den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste zu Berlin (2003), den Wissenschaftspreis der Aby-Warburg-Stiftung (2005) und den Lessing-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg (2013).

Publikationen (Auswahl)

  • Entfernte Verwandtschaft. Faschismus, Nationalsozialismus, New Deal; 1933-1939 (München 2005)
  • Die Kultur der Niederlage (Berlin 2001)
  • Vor dem Vorhang. Das geistige Berlin 1945–1948 (München 1995)
  • Licht, Schein und Wahn. Auftritte der elektrischen Beleuchtung im 20. Jahrhundert (München 1983)
  • Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft. Eine Geschichte der Genussmittel (München 1980)

Medienecho

07.03.2015
Wir vernichten, also sind wir. Am besten erholt sich der Konsument am Flohmarkt

Wolfgang Schivelbusch denkt darüber nach, was wir als Verbraucher tun - und was das mit dem Frieden zu tun hat. Rezension von Hannes Hintermeier, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 07.03.2015

22.02.2015
Konsum als Stoffwechsel verstehen

Radiogespräch mit Wolfgang Schivelbusch, in: Deutschlandradio Kultur, Sendung: Sein und Streit vom 22.02.2015, anhören

Publikationen

Wolfgang Schivelbusch †

Das verzehrende Leben der Dinge
Versuch über die Konsumtion

Hanser, München 2015, 189 Seiten
ISBN 978-3-446-24781-9