ZfL INFO 21/2021: Bücher im Gespräch – Episode 2: Klassiker des russischen und sowjetischen Films
Bücher im Gespräch
Für »Bücher im Gespräch«, den Podcast des ZfL, unterhalten sich Wissenschaftler*innen über ihre neuen Publikationen.
Episode 2: Klassiker des russischen und sowjetischen Films
Barbara Wurm und Matthias Schwartz sprechen über die von ihnen herausgegebenen »Klassiker des russischen und sowjetischen Films« (Marburg: Schüren 2020).
»Für uns ist der Film die wichtigste aller Künste«, teilte Lenin 1922 seinem Volkskommissar für Bildungswesen, Anatolij Lunačarskij, mit. Und so nimmt es nicht Wunder, dass das neue Medium in der Sowjetunion so stark gefördert und subventioniert wurde wie kaum irgendwo sonst. Das Resultat ist eine schier unüberschaubare Fülle an Filmen verschiedenster Genres. Die in zwei Bänden beim Schüren-Verlag erschienen »Klassiker des russischen und sowjetischen Films« stellen insgesamt 44 davon vor – über die Schwierigkeiten der Auswahl, Einordnung und Bewertung sprechen die Herausgeber*innen des zweiten Bands, Barbara Wurm und Matthias Schwartz, miteinander.
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Was macht einen Klassiker eigentlich zum Klassiker? Und was ist das besondere eines russischen oder sowjetischen Klassikers? Oder anders gefragt: Inwiefern hat das sowjetische Kulturdenken zur Etablierung dieser Kategorie beigetragen? Und was heißt überhaupt »sowjetisch«? Barbara Wurm und Matthias Schwartz verwenden diesen Begriff zunächst ganz pragmatisch-deskriptiv – bemerken jedoch, dass er in den letzten Jahrzehnten im innerrussischen Diskurs zunehmend von der mindestens ebenso diskussionswürdigen Kategorie des ›Vaterländischen‹ überschrieben wird.
Vor dem Hintergrund der seit 2010 verstärkt festzustellenden Rebürokratisierung der russischen Kulturproduktion mit dem Ziel ihrer Dienstbarmachung für gouvernementale Zwecke wird klar: Die Geschichte des Films und der Kultur im Allgemeinen muss stets auch als (kultur-)politische Geschichte betrachtet werden – und manchmal neigen wir in der Rückschau zur Vereinfachung.
So wird der undifferenzierte Vorwurf des »Propagandistischen« der Vielfalt des russischsprachigen Kinos mit seiner über hundertjährigen Geschichte nicht gerecht. Dazu gehören die Filme der weltweit Kultstatus genießenden Meister Ėjzenštejn und Tarkovskij, der Cannes-Gewinner »Die Kraniche ziehen« von Kalatozov, aber auch Werke, die im Westen kaum Beachtung fanden: Rjazanovs »Ironie des Schicksals« zum Beispiel, der noch immer bei keinem russischen Neujahrsfest fehlen darf, oder Danelias Kultfilm »Kin-dsa-dsa!«. Mit Werken Muratovas und Askol’dovs gehören zu den »Klassikern« schließlich auch ›Schubladenfilme‹, die erst nach dem Ende der Sowjetunion einem breiteren Publikum zugänglich wurden.
Fazit: Erst durch die Verabschiedung der monolithischen Vorstellung einer ausschließlich über Zentralismus und Zensur operierenden sowjetischen Kulturproduktion entsteht ein differenziertes Bild des russischsprachigen Kinos. Erst dann wird beispielsweise die Zeitlosigkeit der Überlegungen zur Gewalt in Klimovs »Komm und sieh« sichtbar. Diese diskutieren Barbara Wurm und Matthias Schwartz ebenso wie die Frage, warum es eigentlich kein sowjetisches »Star Wars« gibt.
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Für »Bücher im Gespräch«, den Podcast des ZfL, unterhalten sich Wissenschaftler*innen über ihre neuen Publikationen.
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Abb. oben: © Dirk Naguschewski
https://www.zfl-berlin.org/podcast-buecher-im-gespraech.html