Afrika – Europa. Transporte, Übersetzungen, Migrationen des Literarischen
Das Forschungsprojekt untersuchte die wechselseitigen, aber asymmetrischen Beziehungen der Literaturen in Afrika zu denjenigen Europas, ausgehend von dem Sachverhalt, daß afrikanische Literaturen noch immer – allen Bestrebungen zum Schreiben in Gikuyu, Wolof oder Xhosa zum Trotz – zum weit überwiegenden Teil in lateinischer Schrift und in den Sprachen der früheren Kolonialmächte geschrieben werden: Französisch, Englisch und Portugiesisch.
Das Projekt setzte den Akzent auf die Formierung der Literatur in verschiedenen Dimensionen des Transports: medial, material, personal. Es verband bewußt eine transkulturelle (Wechselbeziehungen reflektierende) mit einer komparatistischen Ausrichtung. Komparatistisch verfahren ist das Projekt nicht nur im Sinne der Vergleichenden Literaturwissenschaft, insofern es vor allem die anglo- und frankophonen Literaturen in Afrika gleichermaßen berücksichtigte, die andernorts zumeist entlang der Grenzen der europäischen Nationalphilologien getrennt werden. Überdies waren Fragestellungen der Allgemeinen Literaturwissenschaft zentral für das Projekt, das auf der Grundlage literaturtheoretischer Reflexionen Entwicklungen der Weltliteratur untersucht hat, für welche die afrikanische Situation möglicherweise ein besonders sensibler Seismograph ist. Paradigmatisch dafür sind die Probleme und spezifischen Möglichkeiten beim Schreiben in einer Zweitsprache: Was für afrikanische AutorInnen der ›Normalfall‹ ist, betrifft doch auch eine wachsende Zahl von Schriftstellern und Schriftstellerinnen, die etwa in deutschsprachigen Ländern leben und für die Deutsch gleichwohl weder die erste noch die einzige Sprache ist.
Der deutsche Standort des Projekts erfuhr in mehrfacher Hinsicht Berücksichtigung: Zum einen begleiteten und unterstützten seine Mitglieder die Rezeption afrikanischer Literaturen in Deutschland durch Beiträge in überregionalen Feuilletons und Moderationen bei öffentlichen Lesungen. Zum anderen entstand im Rahmen des Projekts vielfältige Publikationen:
Robert Stockhammer verfaßte eine monographische Studie zum Schreiben über den Genozid in Ruanda, wo Deutschland die erste Kolonialmacht war und wo ein deutsches Geschichtsereignis, der Holocaust, die Aufarbeitung dieses anderen Genozids entscheidend mitprägt.
Susan Arndt forschte zu Konzeptionen von Weiß-Sein der Literaturen aus und über Afrika. Ihr Projekt bewegte sich im Rahmen der von Toni Morrison und bell hooks Anfang der 1990er Jahre angeregten literaturwissenschaftlichen Critical Whiteness Studies. Ausgehend von einer Auseinandersetzung mit Weiß-Sein als dynamischem und komplexen Konstrukt wurden literarische Markierungen und Konzepte von Weißsein in komparatistischer Perspektive betrachtet. Im Rahmen dieses Themenfeldes wurde zudem ein Forschungskolloquium veranstaltet sowie ein Sammelband zum Thema mit herausgegeben: Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weissseinsforschung in Deutschland.
Dirk Naguschewski befasste sich in seinem Teilprojekt mit Transporten des Literarischen in das Medium des Films in Afrika. Hierbei ging es nicht nur um die Untersuchung spezifischer Gestaltungsweisen von Stoffen in den beiden Medien, die sowohl afrikanischen Traditionen als auch der europäischen Literaturtradition entstammen. Ebenso wichtig war eine Diskussion des Standorts von Literatur und Film im Kontext einer nach wie vor undifferenziert wahrgenommenen afrikanischen Kultur. Gerade der Film ist aufgrund seiner Abhängigkeit von technischen Apparaturen ja einerseits als dezidiert ›europäisch‹ konnotiert, andererseits aber aufgrund seiner Bildhaftigkeit auch über Sprachgrenzen hinweg verstehbar. Nicht umsonst etablieren sich viele Schriftsteller zugleich als Filmemacher, um auf diesem Wege weltweit Öffentlichkeit(en) zu gewinnen.
Publikationen
Kontakte, Konvergenzen, Konkurrenzen
Film und Literatur in Frankreich nach 1945
Exophonie
Anders-Sprachigkeit (in) der Literatur
Ruanda
Über einen anderen Genozid schreiben
Robert Stockhammer
- Vom Grauen erzählen, in: Rheinischer Merkur vom 2.9.2004, 22 [Sammelrez. zu Neuerscheinungen über den Genozid in Ruanda]
- Der erhellende Kontinent, in: Rheinischer Merkur 17 (2003), 21 [Sammelrez. zu Neuerscheinungen zum deutschen Kolonialismus in Afrika]
- Grenzen-Schmuggel. Der Forschungsschwerpunkt III, »Andere Moderne(n)«, in: Trajekte 5 (2002), 35–39 [enthält eine Kurzbeschreibung des Projekts sowie seines Ortes im Zusammenhang des Zentrums für Literaturforschung]
- Afrikas Stimme. Zum Werk des Friedenspreisträgers Chinua Achebe, in: Süddeutsche Zeitung (12./13.10.2002), 14
- Im Kolonialwarenladen. Eine Berliner Tagung über afrikanische Literaturen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (14.5.2002), 47
- Africa Without a Hyphen: A Tour through Paris’ Exhibitions of the Primal Arts, in: Matatu. Journal for African Culture and Society 25–26 (2002), 243–248
Susan Arndt
- You are not born White, you become White. Conceptions of Whiteness and Africa in German Society and Literature, in: Robert Cancel, Winnifried Woodhull (Hg.): African Diasporas: Ancestors, Migrations and Boundaries. Trenton, NJ, Asmara, Eritrea: Africa World Press 2008, 231–251
- Susan Arndt, Marek Spitczok von Brisinski (Hg.): Africa, Europe and (Post)Colonialism: Racism, Migration and Diaspora in African Literatures. Amsterdam: Rodopi 2006; darin: Introduction: Racism, Exile and Whiteness; Beyond the Boundaries of Identities and Differences. The Dynamic Relationship of ›Race‹ and Gender in African Literatures
- Boundless Whiteness. Whiteness Without Boundaries? Feminism and White Women in the Mirror of African Feminism and African-Feminist Literature, in: Dirk Naguschewski, Flora Veit-Wild (Hg.): Gender and Sexuality in African Literatures. Amsterdam: Rodopi 2005, 157–172
- Hg.: Afrika und die deutsche Sprache. Ein Kritisches Nachschlagewerk. Münster: Unrast Verlag 2004 (mit Antje Hornscheidt); darin: Worte können sein wie winzige Arsendosen. Rassismus in Gesellschaft und Sprache (11–95), Begriffseinträge zu Bastard (90–95), Eingeborene (116–118), Ethnie (Koautorin, 124–127), Häuptling (142–146), Mischling (Koautorin, 164–167), Mohr (168–172), Mulatte (Koautorin, 173–175), Neger (184–189), Rasse (197–203), Stamm (213–218)
- Kolonialistische Mythen und Weiß-Sein. Rassismus in der deutschen Afrikaterminologie, in: AntiDiskriminierungsBüro (ADB) Köln von ›Öffentlichkeit gegen Gewalt‹ (ÖgG) e.V. & cyberNomads (cbN) Berlin ( Hg.): The Black Book. Deutschlands Häutungen. Frankfurt a.M.: IKO -Verlag für interkulturelle Kommunikation 2004, 91–115
- Weiß-Sein, Roland Barthes la vaccine und die afrikanisch-feministische Literatur, in: Chancengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre. Berliner Programm. Beiträge. Berlin 2004
- Grenzenloses Weiß-Sein. Weiß-Sein ohne Grenzen? Konzeptionen von Weiß-Sein und Feminismus in der afrikanisch-feministischen Literatur, in: Eva Lezzi, Monika Ehlers, Sandra Schramm (Hg.): Fremdes Begehren. Repräsentationsformen transkultureller Beziehungen. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2003, 107–120
- Weiß-Sein als Konstruktion des Rassismus und als Kategorie, in: Chancengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre. Berliner Programm. Beiträge. Berlin 2002, 169–178
- Perspectives on African Feminism. Defining and Classifying African-Feminist Literatures, in: Agenda. Empowering Women for Gender Equity. African Feminisms Two 54 (2002), 31–44
- Afrikanischer Feminismus/afrikanisch-feministische Literatur; Rasse und Gender; Rassismus, in: Renate Kroll (Hg.): Metzler Lexikon Gender Studies. Stuttgart: Metzler 2002, 4–6, 330–331, 331–332
- Jemand muss eine andere Geschichte schreiben. Der Schriftsteller Chinua Achebe wird am Sonntag mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, in: Die Welt (12.10.2002), 28
Dirk Naguschewski
- Contesting African-ness in African Film Criticism: Djibril Diop Mambéty’s »Hyenas«, in: Julius Heinicke u.a. (Hg.): Kuvuka Ukama. Building Bridges. Heidelberg: kalliope paperbacks 2012, 337–347
- Schmerzenswanderungen. Zu Cheikh Hamidou Kanes Roman »L’Aventure ambiguë« und Alain Gomis’ Film »L’Afrance«, in: Marie-Hélène Gutberlet, Sissy Helff (Hg.): Die Kunst der Migration. Aktuelle Positionen zum europäisch-afrikanischen Diskurs. Material – Gestaltung – Kritik. Bielefeld: Transcript 2011, 69–91
- Explorations du corps violé. Les aventures ambiguës d’Alain Gomis et Cheikh Hamidou Kane, in: Isaac Bazié, Hans-Jürgen Lüsebrink (Hg.): Violences postcoloniales. Représentations littéraires et perceptions médiatiques. Berlin: Lit 2011, 111–129
- Sembene Ousmane, oder: Die Geburt des afrikanischen Kinos aus dem Geist der Literatur, in: Dirk Naguschewski, Sabine Schrader (Hg.): Kontakte, Konvergenzen, Konkurrenzen. Film und Literatur in Frankreich nach 1945. Marburg: Schüren 2009, 106–118
- Vor einem Kino mit dem Namen Liberté. Wünsche und Wirklichkeiten im gegenwärtigen Film Schwarzafrikas; Kaum eigene Bilder. Manthia Diawara über Afrikas Isolation, in: Neue Zürcher Zeitung (10.11.2008), 25
- Anderssprachigkeit, Muttersprache und die Sprache(n) der Literatur in Senegal, in: Susan Arndt, Dirk Naguschewski, Robert Stockhammer (Hg.): Exophonie. Anders-Sprachigkeit (in) der Literatur. Berlin: Kulturverlag Kadmos 2007, 87–113
- Carmen Africana, in: Trajekte 12 (2006), 18–23, 139–140
- Eine mächtige Carmen aus der Township, in: Neue Zürcher Zeitung (30.12.2005), 37
- Kinematopographie im afrikanischen Kino. Dakar in Filmen von Sembene Ousmane und Djibril Diop Mambety, in: Robert Stockhammer (Hg.): TopoGraphien der Moderne. Medien zur Repräsentation und Konstruktion von Räumen. München: Fink 2005, 287–316
- Dialogue avec les ancêtres. Réflexions actuelles sur la langue maternelle en Afrique, in: Neue Romania 33 (2005) = Isaac Bazié u. Peter Klaus, hg. von Canon national et constructions identitaires: les Nouvelles Litératures francophones, 185–199
- Wole Soyinka zum 70. Geburtstag [Film, 7’20 min], Metropolis, Arte, 3.7.2004 (mit Susan Chales de Beaulieu)
- Afro-deutsches. Zu Gedichten von May Ayim, in: Weltengarten. Deutsch-Afrikanisches Jahrbuch für Interkulturelles Denken 2004, 135–143
- Reading Foreign Films: African Images and the German Audience, in: Petra Stegmann, Peter C. Seel (Hg.): Migrating Images: producing ... reading ... transporting ... translating. Berlin: Haus der Kulturen der Welt 2004, 78–93
- Rezension zu: Josef Gugler: African Film. Re-imagining a Continent. Oxford: James Currey, 2003, in: H-Soz-Kult, H-Net Reviews, Feb. 2004
- Tod eines Kinos. Moribunde Kinokultur in Senegal, in: Neue Zürcher Zeitung (23.1.2004), 37
- Blick zurück in die Kindheit, in: Frankfurter Rundschau (21.8.2003), 12 [Rezension zu Mongo Beti: Besuch in Kala oder Wie ich eine Braut einfing, und Wole Soyinka: Aké, Jahre der Kindheit]
- Mohammed Bennis (14–15), Achmat Dangor (22–23), Leila Marouane (44–45), Lewis Nkosi (54–55), Hanif Kureishi (118–119), Abdelwahab Meddeb (122–123), in: Ulrich Schreiber (Hg.): 3. internationales literaturfestival berlin. Berlin: Vorwerk 8 (2003)
- Muttersprache als Bekenntnis? Bemerkungen zum Französischen in Afrika, in: Grenzgänge 19 (2003), 130–138
- Senghor und Soyinka: Sprachenfresser und Mythenmacher im postkolonialen Afrika, in: Andrew James Johnston, Ulrike Schneider (Hg.): Anglo-romanische Kulturkontakte von Humanismus bis Postkolonialismus. Berlin: Dahlem University Press 2002, 215–245 (mit Tobias Döring)
- Bessora (20–21), Alain Mabanckou (80–81), Boniface Mongo-Mboussa (92–93), Abdelwahab Meddeb (234–235), in: Ulrich Schreiber (Hg.): 2. internationales literaturfestival berlin. Berlin: Vorwerk 8 (2022)
- The Short Century in Berlin. Notes on an Exhibition, in: Matatu. Journal for African Culture and Society 25–26 (2002), 261–264
- Subversionen. Afrika-Literatur in Berlin, in: Frankfurter Rundschau (14.5.2002), 26
Übersetzungen
- Bessora: Von der Weltlichkeit in der kirchlichen Regierungszeit ..., in: Ulrich Schreiber (Hg.): 2. internationales literaturfestival berlin. Berlin: Vorwerk 8 (2002), 23 [Auszug aus Bessora: 53cm. Paris: Le Serpent à Plumes 1999]
- Boniface Mongo-Mboussa: Am Nullpunkt des Exils, in: Ulrich Schreiber (Hg.): 2. internationales literaturfestival berlin. Berlin: Vorwerk 8 (2002), 95 [Auszug aus: Boniface Mongo-Mboussa: Désir d’Afrique. Paris: Gallimard 2001]
Veranstaltungen
Carmen Africana. Transformations of a European Myth in African Cinema
Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin, Jägerstr. 10/11, 10117 Berlin, R. 01
Le malentendu colonial (2004)
Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, 10785 Berlin
Vacances au pays (2000)
Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, 10785 Berlin
Le malentendu colonial (2004)
Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, 10785 Berlin
Le marriage d'Alex (2003)
Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, 10785 Berlin
Chef! (1999)
Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, 10785 Berlin
Clando (1996)
Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, 10785 Berlin
Afrique, je te plumerai (1992)
Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, 10785 Berlin
Exo-Phonie. Anders-Sprachigkeit (in) der Literatur
Zentrum für Literaturforschung, Jägerstr. 10/11, 10117 Berlin, R. 06
Schrift im (Post)Kolonialismus
ZfL, Jägerstr. 10/11, 10117 Berlin, R. 001
Afrikanische Literatur in Deutschland
ZfL, Jägerstr. 10/11, 10117 Berlin, Raum 06
Chinua Achebe - Weltliteratur aus Nigeria
Galerie, Heinrich-Böll-Stiftung, Hackesche Höfe, Rosenthaler Str. 40/41, Berlin-Mitte