Die Bedeutung der Dialektik bei Ruy Fausto
Ruy Fausto (1935–2020) war ein brasilianischer Philosoph und Philosophiehistoriker, der an der Pariser Sorbonne promoviert wurde und als Professor an der Universität von São Paulo sowie in Chile und Frankreich unterrichtet hat. Er hat sich vor allem mit den Werken von Hegel, Marx und Adorno sowie der dialektischen Logik und der Kritik des traditionellen Marxismus beschäftigt. Seine Werke hat er auf Portugiesisch und Französisch verfasst. In den 1970er Jahren entwickelte er das Projekt der Rekonstitution der Dialektik, das zu der Werkreihe Marx: lógica e política. Investigações para uma reconstituição do sentido da dialética [Marx: Logik und Politik. Untersuchungen zu einer Rekonstitution der Bedeutung der Dialektik] führte, deren erster Band 1983 in Brasilien erschien.
Das Forschungsprojekt analysiert Ruy Faustos Hegelrezeption. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Bedeutung der Dialektik und auf der Frage, wie Fausto in der Auseinandersetzung mit Hegel und dem marxistischen Hegelverständnis einen neuen Begriff von Dialektik gewinnt. Faustos Ausgangspunkt liegt in der Einsicht, dass die Dialektik, wenn sie als Weltanschauung oder universale Methode propagiert wird, ihre theoretische und kritische Potenz verliert. Deshalb bestimmt er die Aufgabe des kritischen Denkens darin, die Dialektik neu zu konstituieren. Fausto knüpft dabei unter anderem an die Forschungen des deutschen Marxologen Hans-Georg Backhaus und dessen Materialien zur Rekonstruktion der Marxschen Werttheorie an.
Das Projekt konzentriert sich speziell auf die logischen Aspekte, die am engsten mit der Rezeption der Hegel’schen Kategorien verbunden sind. Fausto entwickelt sein Verständnis der Dialektik ausgehend von Überlegungen zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen der Hegel’schen und der Marx’schen Dialektik und ihrer jeweiligen Bestimmungen der Funktion der Kategorien Wesen, Schein und Erscheinung. Er betont dabei, dass die Kategorien der Dialektik selbst im Lichte ihrer Transformation durch Marx untersucht werden müssen, und dass die Marx’sche Umstülpung der Hegel’schen Dialektik im Rahmen der Kritik der politischen Ökonomie die gesellschaftlichen Voraussetzungen der logischen Bestimmungen von Hegels Dialektik transparent mache. Damit stößt sie vor zu einem neuen, kritischen Begriff von Dialektik. Die Aktualität von Faustos Rekonstitution der dialektischen Logik kommt in seinem Plädoyer zum Ausdruck, dialektisch und nichtdialektisch zu denken, in dem Sinne, dass die Theorie der Dialektik auf die Grenzen der kapitalistischen Gesellschaftsform und ihrer grundlegenden Kategorien hinweist.
Daneben soll es in dem Projekt auch darum gehen, die spezifischen brasilianischen Dimensionen von Faustos Hegelrezeption im Unterschied zu Hegellektüren zu bestimmen, die im gleichen Zeitraum in Deutschland im Zusammenhang der Neuen Marx-Lektüre unternommen worden sind.
Veranstaltungen
Renata Guerra: Ruy Fausto and the limits of dialectics
SOAS, Russell Square, Central London
Das Dritte Ufer: Beiträge zur Hegelrezeption
Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Ilse-Zimmermann-Saal, Pariser Str. 1, 10719 Berlin