Dichterwahn. Über die Pathologisierung von Modernität
Programm
Gerhard Scharbert
Dichterwahn
Über die Pathologisierung von Modernität
Wilhelm Fink Verlag 2011, 295 Seiten, ISBN: 978-3-7705-5109-5
Als im Paris des 19. Jahrhunderts unvermittelt eine neue 
Experimentalkultur in der Medizin und die Crème aus Literatur und Kunst 
im Hôtel Pimodan auf der Île Saint-Louis aufeinandertrafen, entstand aus
 dieser Konstellation im Dämmer haschischgeschwängerter Abende die 
moderne Ästhetik. Die Auflösung des Ich durch die Psychopharmakologie, 
der künstliche Wahn, legte eine noch brisantere Entfremdung bloß, als 
die des Geistes von der Vernunft, nämlich die seiner organischen 
Grundlagen von ihm selbst. Nerval, Baudelaire, Rimbaud, dann auch 
Mallarmé, zogen daraus die poetischen Konsequenzen; moderne Literatur 
steht seither unter dem Unstern einer latenten Pathologie, die ihre 
Entstehungsgeschichte in sie eingesenkt hat.
Das Buch untersucht 
im ersten Teil die wissenschaftshistorischen (und kolonialen) 
Voraussetzungen dieser solitären Begegnung von medizinischem Experiment 
und poetischer Tradition, die bis an die Schwelle des Allgemeinen 
Krankenhauses in Wien ausstrahlen, wo ein junger Privatdozent der 
Neuropathologie später erstaunt feststellt, daß seine Krankengeschichten
 sich wie Novellen lesen.
Im zweiten Teil wird die Bedeutung 
einer drogeninduzierten »nervalen« Erneuerung der Poesie in den Werken 
der betroffenen Dichter selbst verfolgt, es zeichnen sich mit einemmal 
Nachhallmomente einer Urszene der Modernität ab, die bis heute nicht 
aufgehört hat, die traditionelle literarische Zeichenverwendung zu 
irritieren.