Magdalena Gronau, Martin Gronau: Überschrittene Grenzen. Erwin Schrödinger und die Herausforderungen der Wissenschaftsbiografik
Vortrag am Erwin Schrödinger Institut der Universität Wien
Seit Ende 2021 sind schwerwiegende Vorwürfe gegen den Physiker Erwin Schrödinger (1887–1961) erhoben worden, die von Pädophilie bis hin zu wiederholtem sexuellen Missbrauch reichen. Diese Anschuldigungen haben den öffentlichen Ruf des Nobelpreisträgers erheblich beschädigt.
In der medialen und akademischen Debatte wurde wiederholt die Frage aufgeworfen, ob diese gravierenden Vorwürfe überhaupt gerechtfertigt sind, litt die Diskussion doch unter einer unklaren Faktenlage: Zentrale Quellen waren bislang weitgehend unzugänglich. Dies hängt zumindest teilweise mit der Veröffentlichung einer Biografie zusammen (Schrödinger: Life and Thought von Walter Moore, 1989), die bereits zum Zeitpunkt ihres Erscheinens als problematisch galt.
Im Rahmen des Vortrags werden zahlreiche bisher unberücksichtigte Quellen (u.a. die als Ephemeriden bezeichneten Tagebücher Schrödingers, Briefe betroffener Frauen und Dokumente aus dem Nachlass des Biografen) ausgewertet. Auf dieser Grundlage wird nicht nur die Genese des Skandals um Erwin Schrödinger analysiert, sondern auch ein alternativer Blick auf Schrödingers komplexes Privatleben geworfen, der auch die Perspektiven der bislang weitgehend stumm gebliebenen Partnerinnen des Physikers berücksichtigt.
Die Chemikerin und Literaturwissenschaftlerin Magdalena Gronau ist Freigeist-Fellow der VolkswagenStiftung. Gemeinsam mit dem Althistoriker Martin Gronau bearbeitet sie das Projekt Die Philologie der Physiker. Angewandtes Textwissen in der Wissenschaftskultur der Quantenphysik.