10.12.2020

Neues DFG-Projekt von Johanna Abel zu »Kulturen des Wunders«

Johanna Abel, Hispanistin am ZfL, hat die Arbeit an ihrem Forschungsprojekt Kulturen des Wunders. Prozessionstheater und Bilderkult als Vernetzungsphänomene der Frühen Neuzeit aufgenommen. Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Ausgehend vom hispanischen Sakraltheater untersucht Abel die ritualisierten Spielformen des frühneuzeitlichen Prozessionstheaters auf ihre globalen Implementationen des christlichen Wunderkomplexes. Konkret frag sie danach, wie die Theatergattungen religiösen Gehalts Blickpraktiken und Kulturtechniken von näher zu definierenden Kulturen des Wunders performativ beobachten und verhandeln.

Zur frühneuzeitlichen Fest- und Spielkultur, die weit entfernte kulturelle Räume miteinander verband, gehörten auch Theater und Prozessionen mit lebendig erscheinenden Bildnissen, die zur Sakralisierung ganzer Stadträume führten. Mit der Expansion des spanischen Imperiums seit dem 15. Jahrhundert gelangten der christologische Inkarnationsgedanke und die mit ihm verbundene leibhaftige Bilderverehrung bis nach Lateinamerika und Asien: Sie zeigen sich in den mexikanischen Allegorienspielen von Sor Juana Inés de la Cruz ebenso wie in den philippinischen Reenactments des Kreuzigungsmotivs, der theatralisierten Wundertätigkeit peruanischer Reliquien oder der Aufführung von Mysterienspielen in Japan.

Die Bandbreite an materiellen, ikonischen, kinetischen und sprachlichen Repräsentationsformen, die in der Entwicklungsgeschichte von Prozessionstheater und Bilderkult zum Tragen kommen, lassen ein notorisches Begehren nach Verlebendigung und realistischer Nachbildung des Jenseitigen kenntlich werden. Die kolorierten Holzskulpturengruppen auf ihren Prozessionswagen, die getragenen imágenes de vestir (bekleidete Heiligenfiguren), die tableaux vivants aus schweigenden und unbewegten Darsteller*innen, die nichtsprechenden Tänzer*innen und Mim*innen der Zwischenspiele und schließlich das bewegte, gesprochene und gesungene Sakramentsspiel mit seinen fliegenden Personen und sich verwandelnden Dingen: Sie alle bezeugen eine außergewöhnliche Vielfalt an Wahrnehmungsdispositiven zur Verkörperung des Unsichtbaren. Für das spanische Siglo de Oro (1550–1700) lässt sich das Vergegenwärtigende in der Visionsmalerei und im liturgischen Drama ›auf den Nenner des Wunders bringen‹ (Belting/Stoichita). Mit Wunder als Form von Religion sind hier ein »Erzählgenus« und eine »soziale Tatsache« gemeint, die in ihrem jeweiligen Zeitkontext und ihren Funktionen beschrieben und in ihrer Wahrnehmungsvielfalt nachvollzogen werden können (Auffahrt).

Indem das Projekt die raumübergreifende Gattungsgeschichte des spanischen Fronleichnamsspiels (auto sacramental) aufarbeitet, macht es die globale Zirkulation hispanischer Muster des Wunders sichtbar. Dabei werden die ins Animistische zu kippen drohenden Darstellungsstrategien, die in Kulturen des Wunders angelegt sind, zu einem wichtigen Bestandteil der kulturellen Abgrenzung des Europäischen mit seinen kolonialen Heterotopien. Ob sich die damit verbundenen Verdrängungsmechanismen bereits im frühneuzeitlichen geistlichen Spiel der hispanisierten Welt niederschlagen, wird das Projekt insbesondere an der synchronen Vernetzung der Aufführungspraxis lateinamerikanischer, südostasiatischer und spanischer Sakramentsspiele untersuchen.

Johanna Abel war von 2016–2019 bereits als wissenschaftliche Mitarbeiterin im ZfL-Projekt Ikonische Präsenz. Die Evidenz von Bildern in den Religionen tätig, in dem sie zur »Leibpräsenz im Corpus Christi-Spiel« forschte. Sie promovierte 2013 in Romanischer Philologie mit einer Arbeit zur Literarisierung von kultur- und geschlechterspezifischem Körperwissen in Karibikreiseberichten des 19. Jahrhunderts.

Zur Projektwebseite:

Kulturen des Wunders. Prozessionstheater und Bilderkult als globale Vernetzungsphänomene der Frühen Neuzeit