Sirenen des Krieges                                                                    
Diskursive und affektive Dimensionen des Ukraine-Konflikts
                                                                                            
                            Mit dem Ausbruch eines Krieges in der Ostukraine hatte vor 2014 niemand gerechnet. Die rasante Geschwindigkeit, mit der die innenpolitische Krise in einer der einst stabilsten ehemaligen Sowjetrepubliken zu einem hybriden Krieg eskalierte, deutet dabei nicht nur auf rationale militär- bzw. wirtschaftsstrategische Interessen hin. Obwohl die Ukraine und Russland eine jahrhundertealte gemeinsame Geschichte und kulturelle Nähe verbindet, offenbart der Konflikt auch tiefe gegenseitige Ressentiments und geschichtspolitische Obsessionen, die bereits lange vorher in künstlerischen Werken und kulturellen Diskursen präsent waren.
In der Ukraine-Krise kam es zu einer Reinszenierung kollektiver Phantasmen, historischer Helden- und Opfermythen. Paradoxerweise aber eröffneten die Gewaltbereitschaft und Kriegslust, mit der alle Parteien auf lokaler, nationaler und virtueller Ebene diese Dynamik vorantrieben, unter anderem Kulturschaffenden auch Möglichkeiten, die gefühlte Ohnmacht zu überwinden und gesellschaftlich handlungsfähig zu werden. Diese Entwicklung ist tief durch die (post-)sowjetischen Erfahrungen geprägt und zugleich eng mit globalen und medialen Veränderungen verbunden. Die Fallstudien des Bandes loten die affektiven und diskursiven Dimensionen des Konfliktes aus und leisten damit einen Beitrag zur Konzeptualisierung der postsozialistischen Gesellschaften und Kulturen im Osten Europas.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
 Roman Dubasevych, Matthias Schwartz | 7–46
I. Gefühle im Krieg: Ressentiments und Reflexionen
- Abgründe und Beweggründe. Zu den affektiven Implikationen eines identitätspolitischen Konflikts
 Tatiana Hofmann | 49–79
- In der Defensive? Russischsprachige Dichtung der heutigen Ukraine 
 Susi K. Frank | 41–81
- Ukraine und Russland: Synergie der Ressentiments
 Igor Sid | 119–159
- No Good War: Die Ukraine und eine europäische Sinnkrise 
 Tarik Cyril Amar | 161–172
II. Helden sterben nicht: Figurationen der (De-)Eskalation
- »Helden sterben nicht«. Die Cyborgs vom Sergei-Prokofjew-Flughafen
 Roman Dubasevych | 175–225
- Großmacht-Samizdat. Michail Jur’evs Drittes Imperium als alternativgeschichtliche Zivilisationsutopie
 Nina Weller | 227–257
- Unsere Helden. Eine Inventur. Zu einer Ausstellung im Nationalen Kunstmuseum der Ukraine 2014/2015
 Michael Fehr | 259–291
- Sencovs Camera
 Kateryna Mishchenko | 293–304
III. Alltagswelten im Konflikt: Regionale Modelle von kollektiver Zugehörigkeit
- Hybride Raumproduktionen. Phantomgrenzen als Konzept zur Erklärung ambivalenter Identifikationsräume in der Ukraine
 Sabine von Löwis | 307–327
- »Konservativer Internationalismus« oder »reaktiver Nationalismus«? Wir-Gruppen (post-)sowjetischer Separatismen im moldauischen Dnjestr-Tal und auf der Krim
 Jan Zofka | 329–349
- Menschen im Ausnahmezustand: Der Wandel der Alltagswelt und Erklärungsmodelle des Krieges im Osten der Ukraine
 Oksana Mikheieva | 351–370
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